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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ihren
ehrfurchtgebietenden Eindruck auf die Hereinströmenden aus. Sie traten mit
ernsten Mienen ein, nahmen ihre Plätze ein und redeten nur das Notwendigste.
Ich lief den Gang zwischen den Sitzen entlang, wobei die Sohlen meiner
Turnschuhe auf dem abgetretenen braunen Linoleum quietschten, und klappte den
Holzsitz gleich hinter Jacks Platz hinunter. Als ich mich niederließ, sah er
sich um und nickte.
    Ich hatte ihn selten bei einem
richtigen Prozeß unter solcher Spannung gesehen. Er hielt die Schultern steif.
Seine Hände irrten ziellos zwischen den Stapeln von Dokumenten auf seinem Tisch
umher, als versuche er so, den Wust aus Fakten und Theorien, aus denen unser
Fall derzeit bestand, in Bewegung zu halten. Ich lächelte ihm aufmunternd zu,
aber zu spät: Judy, die ein Stück weiter saß, beugte sich vor und zupfte ihn am
Ärmel. Er drehte sich zu ihr um.
    Stameroff und Wald kamen aus dem
Richterzimmer. Wald setzte sich ans Ende der Geschworenen-Bank, während
Stameroff am Tisch der Anklagevertretung Platz nahm. Er wandte sich um und
lächelte seiner Tochter zu. Judy wich seinem Blick aus. Stameroff runzelte die
Stirn und nickte dann Jack freundlich zu. Jacks Erwiderung wirkte nervös und
unstet. Im Moment machte All Souls keinen überragenden Eindruck.
    Als nächstes zogen die Geschworenen
ein. Ich sah mir die Liste an, die man mir an der Tür in die Hand gedrückt
hatte. Es war eine Jury mit beeindruckenden Namen, darunter mehrere Professoren
kalifornischer Universitäten, Stanford und San Francisco State, und ein
Journalist von der Los Angeles Times, der für eine Gerichtsreportage den
Pulitzerpreis bekommen hatte und ein bekannter Autor wahrer Kriminalgeschichten
war.
    Die Geschworenen setzten sich, und im
Saal wurde es still. Ich sah mich um und bemerkte die Reihe der Reporter hinter
dem Tisch des Anklägers. Dahinter saß Bart Wallace mit verschränkten Armen und
strengem, ausdruckslosem Gesicht. Sein Mantel lag auf dem Nebensitz.
Wahrscheinlich hielt er ihn für Adah Joslyn frei. Von Louise Wingfield war noch
immer nichts zu sehen.
    Ich sah nach vorne, um mich ganz auf
den Prozeß zu konzentrieren. Doch da schoß mir der Gedanke durch den Kopf: Wie
grotesk!
    Schnell löste ihn ein nächster, nicht
weniger häretischer Gedanke ab: Und widerwärtig.
    So feierlich sich die Versammlung auch
gab, in Wirklichkeit war das alles nur ein Spiel. Wie ich schon zu Jack
gesagt hatte: Das Historische Tribunal war nichts weiter als eine
intellektuelle Spielerei für Erwachsene, ein kurzes Wochenendvergnügen. Heute
würden wir mit der Erinnerung an drei Tote spielen und dem Gedenken an sie
möglicherweise Schaden zufügen — Cordy McKittridge, Lis Benedict und Melissa
Cardinal. Und wir könnten den Ruf anderer, noch lebender Opfer schädigen.
    Während James Wald aufstand und
selbstgefällig über seine Rolle bei der Einrichtung dieses Tribunals zu reden
begann, dachte ich: Sag jetzt nichts Hochtrabendes zu diesem Spiel. Prahl nicht, wie wir helfen werden, die Geschichte zurechtzurücken. In
Wirklichkeit bieten wir den Leuten doch nur eine Unterhaltung vor dem Dinner
oder einem Theaterbesuch.
    Wie sie wohl reagieren würden, wenn ich
jetzt auf stünde und laut sagte, was ich dachte? Sie aufforderte, dieser
Schmierenkomödie ein Ende zu machen?
    Glücklicherweise war Walds Rede kurz.
Richter Valle betrat den Raum. Wir standen auf und durften uns wieder setzen.
    Valle war in voller Amtsrobe. Er ging
zum Richtertisch hinauf, setzte sich und schaltete das Mikrophon ein. Dann
starrte er, die römische Nase vorgestreckt, mit seinen dunklen Augen streng und
forschend in den Saal.
    Mit feierlicher Stimme begann er: »Wie
Mr. Wald ausführte, haben wir uns an diesem Wochenende hier versammelt, um über
einen historischen Fall zu entscheiden. Und wenn dieses Tribunal auch
eigentlich nur eine Nebenbeschäftigung für uns ist, nehme ich die Verantwortung
doch nicht auf die leichte Schulter. Ebensowenig tun das die Geschworenen, der
Ankläger, die Verteidigung. Wir hoffen, daß das Publikum dem Verfahren mit
gleicher Ernsthaftigkeit folgt. Schließlich ist dieses, wenn auch inoffiziell,
doch ein ordentliches Gericht, und das Gesetz duldet nicht, daß man ein Spiel
mit ihm treibt.«
    Ich war irgendwie erleichtert und ließ
meine Vorbehalte fahren.
    Valles Blick wanderte erneut forschend
durch den Saal. »Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens Der Staat von
Kalifornien gegen Lisbeth Ingrid Benedict «, fuhr er fort, »haben wir es

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