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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Weg nicht weit...
    RUSSELL EYESTONE: Den Außenminister
befragen? Sind Sie verrückt?
    AARON OVERTON (stellvertretender
Coroner des San Francisco County): Wer immer sie getötet hat, muß buchstäblich
blutüberströmt gewesen sein. Es sei denn, der oder die Mörder hätten
Schutzkleidung getragen, und selbst dann... Eine Leiche nach dem eingetretenen
Tod zu zerstückeln, wenn sie nicht mehr blutet, ist ein schmutziges Geschäft.
Einen Menschen bei lebendigem Leibe zu zerhacken... also, Sie haben gesehen,
wie es im Taubenhaus aussah. Welches die erste Verletzung war? Wie soll ich
Ihnen das denn sagen?
    TOM DECK (Hausmeister am Institut):
Diese Gartenschere lag immer im Gartenschuppen, wenn ich um fünf Uhr abschloß.
Aber wenn ich es mir genau überlege, habe ich sie vielleicht auch im Taubenhaus
liegengelassen oder irgendwo in der Nähe. Ich hatte an dem Nachmittag den
Rittersporn zurückgeschnitten, der um das Taubenhaus wächst. Ich kann sie dort
abgelegt oder an die Mauer gelehnt haben. Wissen Sie, ich war in Eile, weil
mein Junge an dem Abend ein Baseballspiel hatte...
    LEWIS WELLMAN (Münzhändler): Ende
vierundfünfzig — ich glaube, es war im November — habe ich zwei Kriegs-Pennies,
Jahrgang 1943, an Vincent Benedict verkauft. Ich erinnere mich sehr gut daran,
weil Mr. Benedict wußte, daß die Pennies aus zinküberzogenem Stahl waren, und
weil er sie genau deswegen haben wollte. Er war Chemiker. Er sagte, er wolle
sie verschenken. Ich hatte den Eindruck, daß er sich einen Spaß damit machen
wollte, denn er amüsierte sich mächtig, als er sie aussuchte.
     
    Ich stieß mich vom Küchentisch ab und
streckte mich. Eingeschränkte Aussagen, vage Aussagen, unterdrückte Aussagen —
von allem gab es etwas in der Polizeiakte. Ich sah auf die Uhr. Es war fast
fünf Uhr morgens. Ich fühlte mich seltsam munter, trotz leichter Kopfschmerzen.
    Meine Handtasche stand in Reichweite
unter der Küchenbar. Ich wühlte im Reißverschlußteil nach einem Aspirin. Dabei
stießen meine Finger auf das Korallenstück, das Hank mir aus Hawaii mitgebracht
hatte. Einen Moment lang rieb ich über seine rauhe Oberfläche. Dann lächelte
ich. jetzt nahm alles Gestalt an. Ich mußte nur noch zwei Informationen
einholen.
    Ich vergaß das Aspirin und ging zum
Schrank in meinem Arbeitszimmer. Ich suchte die alte Funk-&-Wagnalls-Enzyklopädie
heraus, die unsere Mutter vor vielen Jahren durch fleißiges Sammeln von
Rabattmarken für uns erworben hatte. Ich zog die Bände 15, Lace bis Maots, und 25, Watfoe bis Zymol, heraus, setzte mich im Schneidersitz
auf den Fußboden und sah mir ein paar Eintragungen sorgfältig an. Dann ließ ich
die Bücher liegen, wo sie waren, ging in die Küche zurück und goß mir ein
kleines Gläschen Brandy ein.
    Die Couch im Wohnzimmer sah mich
einladend an. Ich rollte mich auf ihr zusammen und sagte mir, daß ich die
Polizeiakte schon viel früher hätte zur Hand nehmen und sofort ganz durchlesen
sollen. Aus den maschinegeschriebenen Protokollen, Niederschriften von
Vernehmungen, Autopsieberichten und handgeschriebenen Notizen von längst
pensionierten oder bereits verstorbenen Polizeibeamten entwickelte sich langsam
ein Bild, das immer deutlichere Konturen annahm. Auch was nicht erwähnt war,
war bezeichnend. Jetzt fingen all die Fakten, die in meinem Unterbewußtsein
rumort hatten, an, wie gefiltert emporzutauchen und mit meinen neueren
Erkenntnissen zu verschmelzen. Bald würden sie von selbst zu einer Lösung
führen.
    Doch im Moment brauchte ich Schlaf,
wenn auch nur eine Mütze voll. Aber bestimmt würde es der gesündeste Schlaf
sein seit meinem Rückflug mit Hy aus den Great Whites am vergangenen Mittwoch.
    Hy, dachte ich plötzlich, was ist los
mit dir? Wo steckst du gerade? Und warum rufst du nicht an? Mein Körper
vermißte ihn, aber noch mehr brauchte ich seinen Verstand. Wenn ich alles hier
mit ihm durchsprechen könnte, seine Objektivität und seinen Scharfsinn nutzen
könnte...
    Aber das war nicht möglich. Ich mußte
mich einfach mit der Tatsache abfinden, daß ich so nie auf ihn würde zählen
können. Genau wie auch umgekehrt. Eine kümmerliche Beziehung also? Vielleicht,
in den Augen der meisten Leute. Doch tief in mir gab sie einer inneren
Rastlosigkeit den notwendigen Raum — einem Drang nach Freisein, der dazu
geführt hatte, daß ich mich an anderen, festeren Bindungen wundgerieben hatte.
    Ich nippte am Brandy und starrte zum
Fenster, hinter dem die Morgendämmerung heraufzog. Alles

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