Letzte Instanz
so mißfällt, daß ich in dem Fall ermittle, warum haben Sie mich
dann empfangen?«
Eyestone lächelte, und sein Gesicht
verzog sich. »Also, Miss McCone, es gefällt mir nicht, aber es mißfällt mir
genauso wenig. Offen gesagt, habe ich mich bereit erklärt, weil ich neugierig
auf Sie war.«
»Auf mich?«
»Ja. Sie mögen sich dessen nicht bewußt
sein, aber Sie erfreuen sich eines gewissen Rufs in San Francisco. Als Revanche
dafür, Sie von Angesicht zu sehen, erzähle ich Ihnen gern alles, was Sie wissen
wollen — in einem vernünftigen Rahmen.«
»Und was ist das für ein Rahmen?«
Sein Lächeln wurde breiter. »Loten Sie
selbst die Grenzen aus.«
Ich hatte das Gefühl, als stünde ich in
einer Art Wettbewerb mit Leonard Eyestone — ohne die Regeln oder den Preis zu
kennen. »In Ordnung. Erzählen Sie mir, was für eine Frau Lis Benedict damals
war.«
Er sah mich überrascht an.
Offensichtlich hatte er mit einer anderen Frage gerechnet. »Sie war... gut
erzogen, intelligent und redegewandt. Sie hatte ein paar Hobbies — zum Beispiel
Kalligraphie. Ich spürte, wie frustriert und wütend sie über Vincents Trinkerei
und seine Frauengeschichten war. Vielleicht hatte es aber auch mit dem
Brachliegen ihrer beträchtlichen Talente zu tun. Und Angst habe ich bei ihr
gespürt.«
»Wovor?«
»Vor vielen Dingen. Lisbeth war und
ist, soweit ich weiß, immer noch eine äußerst abergläubische Frau.
Abergläubische Menschen sind von Natur aus ängstlich. Sie schützen sich mit
Ritualen gegen das Unglück.«
»Sie sind aber nicht abergläubisch.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin
Gesellschaftswissenschaftler, mit der Betonung auf Wissenschaftler. Ein
Pragmatiker. Und ich habe selten Angst — wahrscheinlich aus einem Mangel an
Phantasie. Man muß fähig sein, sich die schlimmsten Folgen auszumalen, um sich
vor ihnen zu fürchten.«
So herum hatte ich das noch nie
gesehen, aber was er sagte, ergab einen Sinn. Ich hatte eine Menge Phantasie,
und immer, wenn ich mich in einer gefährlichen Situation befand, mußte ich sie
mit aller Willenskraft ausschalten.
»Was fand man denn an Vincent
Benedict?« fragte ich. »Er war Alkoholiker und schlug seine Frau. Was haben
Cordy und die anderen Frauen in ihm gesehen?«
»Schmerz.«
»Ich verstehe nicht.«
»Den Mann umgab eine Aura von tiefem
psychischem Leid — natürlich sorgfältig kultiviert. Ganz bewußt entwarf er von
sich das Bild des verkannten Genies, das von allen unterschätzt und
mißverstanden wird und alles ruhig und stoisch erträgt. Und die Frauen
streichelten seine Seele, küßten ihn und wollten alles besser machen. Dabei
schadete ihm sein gutes Aussehen, das ein wenig Leichtlebigkeit signalisierte,
durchaus nicht.« Eyestone sagte das ohne Groll, eher so, als bewundere er
Benedicts Selbstdarstellung in gewisser Weise.
»Ich habe trotzdem den Eindruck, daß Cordy
mehr als nur irgend eine unter Vincents Frauen war.«
»Da haben Sie recht. Er wollte sich von
Lisbeth scheiden lassen und sie heiraten.«
»Hat er Lis das gesagt?«
»Ja.«
»Warum wurde das vor Gericht nicht
gegen sie verwendet?«
»Ich nehme an, Vincent wollte nicht,
daß seine Frau in die Gaskammer kam.«
»Aber Sie wußten davon. Andere müssen
es auch gewußt haben.«
»Das bezweifle ich. Vincent hat es mir
auch erst eine Woche vor Prozeßbeginn gesagt, und das unter dem Siegel der
Verschwiegenheit.«
»Und Sie haben es niemandem
weitererzählt?«
»Nein. Ich habe bis heute nicht darüber
gesprochen.«
Ich zögerte, nahm mir Zeit für die
Formulierung meiner nächsten Frage. »Es heißt, daß es außer Vincent in Cordys
Leben noch andere Männer gegeben hat. Jemanden aus dem Institut.«
»Ja.«
»Wer war das?«
Er zuckte mit den Schultern und
lächelte verschlagen.
»Sie?«
»So hieß es.«
» Sie, Dr. Eyestone?«
»Was für ein irritierter Blick, Miss
McCone! Ja, ich gebe zu, ich hatte ein Verhältnis mit Cordy.«
»Aber Sie und Vincent waren Freunde.«
»Es gibt Männerfreundschaften, die über
Revierkämpfen um Frauen stehen. Außerdem war meine Affäre mit Cordy vorbei,
bevor sie mit Vincent zusammen war und bevor sie starb.«
»Wie lange vorbei?«
»Seit dem vorangegangenen Sommer, als
sie unser Kind abgetrieben hat.«
Louise Wingfields Verdacht hatte also
gestimmt. »Wessen Idee war die Abtreibung, Ihre oder Cordys?«
»Cordys. Ich hätte sie nur zu gern
geheiratet, aber sie war mich da schon leid. Sie sagte, sie wolle die
Abtreibung in jedem Fall, und
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