Letzte Instanz
Benedict. Sie
ist verurteilt worden — unschuldig, wie ich meine. Und selbst wenn sie nicht
hingerichtet wurde, so hat sie doch den größten Teil ihres Lebens im Gefängnis
verbracht.«
Louise Wingfield nickte. »Seltsam«,
sagte sie, »wenn Lis unschuldig im Gefängnis gesessen hat, dann haben wir eine
Menge gemeinsam. Cordys Tod markiert dann für uns beide den Beginn eines Lebens
als Tote.«
8
Bevor ich in mein Büro zurückkehrte,
hielt ich an einem Eckladen und kaufte mir eine Cola und eine Tüte Popcorn für
die Mikrowelle — nicht gerade ein üppiger Lunch, aber etwas anderes reizte mich
nicht. Außerdem enthielt Popcorn Ballaststoffe, und Ballaststoffe waren
schließlich derzeit das große Diätschlagwort. Ich schob die Portion Popcorn
also, wie mein Neffe sich auszudrücken pflegt, in den ›Reaktor‹ unserer
Kooperative und trug sie dann zu mir hinauf. Einige Hände voll wurde ich schon
unterwegs los, unter anderem auch an die Anstreicher.
In meiner Box unten im Empfang hatte
keine Nachricht für mich gelegen, aber auf meinem Schreibtisch fand ich einen
pinkfarbenen Zettel. Er lag oben auf einem Stapel von Briefen zur Unterschrift.
Es war eine Nachricht aus Leonard Eyestones Büro im Institute for North
American Studies, wo ich am Morgen um einen Gesprächstermin gebeten hatte. Da
jetzt Mittagszeit war, legte ich den Zettel für später beiseite und rief dann
Rae über die Haussprechanlage an.
»Hast du ein paar gute Informanten bei
den Latinos im Mission District an der Hand?« fragte ich sie.
»Einige, aber keiner ist so verläßlich
wie dein Tony Nueva.«
»Nueva gehört leider nicht mehr zu
meinen Informanten.« Ich erzählte ihr kurz von den Schmierereien und fragte
dann: »Kannst du mal Kontakt mit deinen Informanten aufnehmen und schauen, was
sie dir zu bieten haben?«
Sie war einverstanden, ließ sich noch
ein paar Details sagen und hängte ein.
Ich unterschrieb die Briefe und dachte
über die Maschinerie nach, die in Betrieb gesetzt werden mußte, um Melissa
Cardinal aufzuspüren. Sie zu finden, würde — falls sie überhaupt noch lebte — bestimmt
knifflig, vielleicht ganz unmöglich werden. Als erstes ging ich in unserer
Bibliothek die Telefonbücher von San Francisco und Umgebung durch, ohne Erfolg.
Der nächste Schritt wäre logischerweise eine Nachfrage bei der
Kfz-Zulassungsstelle. Aber den Kontakt wollte ich nicht gern überstrapazieren,
denn dort herrschte strenger Datenschutz. Ich könnte im Meldeamt nachfragen, ob
sie geheiratet hatte oder gestorben war, aber dazu hätte ich direkt ins Rathaus
gehen müssen und vielleicht noch zu den Meldebehörden der benachbarten Counties
— eine zeitraubende Angelegenheit, die nicht unbedingt von Erfolgen gekrönt
sein mußte. Ich setzte mich auf einen Hocker am Rand des vollgepackten
Bibliothekstischs und grübelte, wie sich das Verfahren abkürzen ließe.
Nach Louise Wingfields Auskunft war
Melissa Cardinal Stewardeß bei einer internationalen Fluglinie gewesen. Sie
mußte inzwischen lange den Dienst quittiert haben — jedenfalls war es damals
so, daß Frauen mit der Heirat oder bei Erreichen eines bestimmten Alters
ausschieden. Doch das Personal der Fluggesellschaften ist gewerkschaftlich
organisiert, und Gewerkschaften haben ihre Unterlagen. In den Gelben Seiten
fand ich eine Eintragung der International Union of Flight Attendants mit Sitz
in Burlingame, in der Nähe von San Francisco. Ich eilte wieder hinauf in mein
Büro und rief dort an. Aber es stellte sich heraus, daß sie den Datenschutz
genauso streng handhabten wie die Zulassungsstelle. Ein Zeichen der Zeit,
dachte ich. Wir sind alle ein wenig paranoid — und das aus gutem Grund.
Also gut, welche Fluglinien mit in San
Francisco stationierten Crews flogen Mitte der fünfziger Jahre Europa an? Wer
konnte so etwas wissen? Ich sah in meinem Telefonregister nach und rief Toni
Alexander in meinem Reisebüro an. Toni meinte, ich hätte Glück. Eine ihrer Angestellten
habe damals so einen Job gehabt. Sie sprach mit ihr, kam dann wieder an den
Apparat und sagte, die beste Chance hätte ich bei TWA. Bevor ich auflegte,
machte mich Toni auf einen Flug nach Hawaii aufmerksam, der so preiswert war,
daß ich tatsächlich schnell meine Finanzlage überdachte. Aber meine Reserven
waren nach dem Einbau des Kamins knapper als sonst, und die Hotels drüben auf
den Inseln waren teuer. Allein würde ich ohnehin nicht fliegen wollen. Außerdem
hatte ich meine Zweifel, Hy zu so
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