Letzte Instanz
vermuten, daß hinter seinen
langwimprigen Augen nicht viel vor sich ging. Im Heiligtum des Intellekts
schien man bei untergeordneten Angestellten mehr Wert auf das Physische als auf
das Geistige zu legen.
Eyestones Büro verfügte über einen
großen Vorraum auf der Galerieseite, die der Bucht zugewandt war. Alex ging
voraus bis zu einer geschnitzten Doppeltür und kündigte mich förmlich an. Das
innere Allerheiligste war ebenso strahlend weiß wie die Lobby unten und bot
einen Blick auf die Bucht von Treasure Island bis Alcatraz.
Mein erster Eindruck: ein mit allem
möglichen Kram vollgestopfter Raum. Die Möbel: blaue Sofas und sandfarbene
Sessel, Bücherschränke aus gebleichtem Teakholz und ein riesiger alter
Mahagoni-Schreibtisch. Fotos: lauter händeschüttelnde Männer, die vor der
Kamera posierten. Dazu Skulpturen und mechanisches Spielzeug, wie man es einem
Mann schenkt, der schon alles hat. Gerahmte Urkunden, orientalische Vasen und
kleine Dosen aus Elfenbein, Silber und Gold. Golftrophäen und ein Wandgestell
mit Dutzenden exotischer Pfeifen. Auf einem Hocker an der Bar saß ein
ausgestopfter Koala-Bär mit Smokingjacke. Seine gläsernen Augen waren
staubbedeckt, und er sah deprimiert aus. Ein Arm war zur Bar ausgestreckt, als
könnte er einen Drink gebrauchen. Ich sah von ihm zu dem Mann, der nun um den
Schreibtisch herum auf mich zukam, auch mit ausgestrecktem Arm.
»Wie heißt er?« fragte ich.
»Er hat keinen Namen. Er sitzt dort
nur, um zu beweisen, daß wir Akademiker auch einen Sinn für Humor haben.«
»Haben Sie den?«
»Nur in seltenen Fällen.« Leonard
Eyestone ergriff meine Hand und taxierte mich genau. Er war mittelgroß und
untersetzt, mit silbergrauem Haar. Sein Kopf mit den etwas hervortretenden
blauen Augen wirkte zu groß für seinen Körper. Beim Lächeln hatten seine Lippen
einen starken Zug nach rechts. Wahrhaftig kein attraktiver Mann, aber mit
charaktervollem und sensiblem Gesichtsausdruck. Zugleich wirkte er irgendwie
»verklemmt«, und ich fragte mich kurz, ob diese unsichtbaren Verklemmungen wohl
mit dem zu tun haben konnten, was Cordy McKittridge zugestoßen war.
Eyestone führte mich zu einer
Sitzgruppe an der Fensterseite. Er bot mir einen Drink an, den ich ablehnte,
und setzte sich dann mir gegenüber. »Also, Miss McCone«, sagte er, »wie ich
höre, möchten Sie mit mir über den Fall McKittridge reden. Offen gesagt, ich
finde Ihren Versuch, ihn wieder aufzunehmen, kontraproduktiv.«
Seltsamer Ausdruck. »Wie meinen Sie
das?«
»Was wollen Sie denn damit erreichen?«
»Vielleicht kann ich retten, was noch
von zwei schwer angeschlagenen Existenzen übrig ist.«
Er legte die Stirn in Falten. Seine
Hände spielten mit dem Elfenbeingriff eines Brieföffners, der neben ihm auf dem
Tisch lag. Nach einer Weile sagte er: »Ich nehme an, Sie meinen Judy und Lis
Benedict. Miss Benedict hatte alle Chancen, aus ihrem Leben etwas zu machen,
und allem Anschein nach ist ihr das auch gelungen. Und für Lisbeth habe ich
keinerlei Mitgefühl. Sie hat ihr Leben in der Nacht zerstört, als sie Cordy
McKittridge zerfleischte.«
»Sie reden, als hätten Sie die Spuren
beider Benedicts ständig verfolgt.«
»Ich habe mir hin und wieder ein Bild
über ihre Lebenssituation gemacht.«
»Warum?«
Er zuckte mit den Schultern. »Hätten
Sie das nicht getan, wenn Sie den Hauptfiguren in einem so grauenhaften Drama
so nahegestanden hätten?«
»Sie waren mit der Familie befreundet?«
»Jedenfalls mit Vincent.«
»Und welche Erinnerungen haben Sie an
die Mordnacht?«
»Keine, die den bekannten Fakten
widersprechen, falls Sie darauf hoffen.«
»Erzählen Sie trotzdem.«
»Ich habe nichts Besonderes zu
erzählen. Ich wohnte zu der Zeit nicht auf dem Gelände, war den ganzen Tag
nicht dort gewesen, hatte seit Tagen weder Lisbeth oder Judy noch Cordy
gesehen. Ich habe an dem Bankett für Dulles im Blue Fox teilgenommen. Vincent
war auch dabei, wie übrigens alle Institutsmitglieder und ihre Frauen — bis auf
Lisbeth. Warum soll ich das alles wiederholen? Sie haben doch offenbar das
Gerichtsprotokoll studiert.«
»Sogar ein oberflächliches Studium
dieses Protokolls belegt bereits, daß bestimmte Fakten vor Gericht überhaupt
nicht zur Sprache kamen.«
»Ach, die alte Vertuschungstheorie. Was
macht Verschwörungen eigentlich so anziehend für die Leute?«
»Weil Verschwörungen gar nicht so
selten sind.« Ich zögerte und fügte dann hinzu: »Darf ich Sie eines fragen?
Wenn es Ihnen
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