Letzte Instanz
das hat Eyestone mir
erzählt.«
»Ich bezweifle, daß diese Heirat je
zustande gekommen wäre.«
»Sie meinen, sie wäre ihn auch bald
leid gewesen?«
»Vielleicht nicht leid gewesen, aber...
Bedenken Sie die Situation. Vincent wollte sich von Lis scheiden lassen. Eine
Scheidung wäre eine kostspielige Angelegenheit gewesen, vor allem, weil es auch
um ein Kind ging. Außerdem galt damals noch das Schuldprinzip. Lis hätte Cordy
mitbeschuldigt. Und dann hätte Cordys Familie sich sofort von ihr abgewandt.
Vincent hätte Unterhalt zahlen und für das Kind sorgen müssen. Dazu hätte er
noch Cordys Lebensunterhalt bestreiten müssen, alles von seinem Gehalt am
Institut. Er verdiente zwar nicht schlecht, aber so viel nun auch wieder nicht.
Es wäre nie gegangen. Miss McKittridge war ihren Luxus gewöhnt, und sie liebte
den Luxus.«
Ich dachte darüber nach. »Und wenn
Cordy Schluß gemacht hätte, nachdem Vincent Lis um die Scheidung gebeten
hatte?«
»Das wäre möglicherweise reines Dynamit
gewesen.«
»Doch nach Aussage aller Zeugen war
Vincent in der Mordnacht bei dem Bankett für Dulles.«
»Lis aber nicht.«
Wir waren bei meinem MG angekommen.
Louise sagte: »Ich muß Sie leider bitten, mich zu chauffieren. Mein Wagen ist
in der Inspektion. Einer meiner Mitarbeiter hat mich hier abgesetzt.«
»Haben Sie Hunger?«
»Keinen besonderen. Und Sie?«
»Nein.« Aber ich zögerte, weil ich den
Abend noch nicht beenden wollte. »Wie wäre es mit noch einer Portion
Reminiszenzen?«
»Ich bin nicht gerade begeistert. Aber
was führen Sie im Schilde?«
»Ich möchte einen Blick auf das Anwesen
in Seacliff werfen.«
»Warum?«
»Derselbe Grund, aus dem ich sehen
wollte, wo das Apartment lag. Es gehört zu meinen Gewohnheiten, mir den Tatort
eines Verbrechens und das Umfeld anzuschauen. So entwickle ich ein Gefühl
dafür, was vor sich gegangen ist.«
»Sogar so lange Zeit nach der Tat?«
»Ja.«
Sie preßte die Lippen zusammen, trat
unentschlossen von einem Fuß auf den anderen.
»Ich bringe Sie nach Hause und fahre
allein«, sagte ich.
»...Nein, ich komme mit. Mit meiner Hilfe
finden Sie es leichter. Und es ist Zeit, daß ich mich der Vergangenheit
stelle.«
»Lis Benedict hat erst gestern etwas
ganz Ähnliches gesagt.«
»So? Na ja, wie ich heute morgen schon
sagte, haben Lis und ich mehr gemeinsam, als mir klar war. Wir sind beide Opfer
dessen, was mit Cordy geschehen ist.«
Seacliff ist ein exklusiver Wohnbezirk.
Er liegt auf einem Steilufer südlich der Golden Gate Bridge, hoch über dem
offenen Meer zwischen Bakers Beach und Lincoln Park. Gegen das angrenzende
Richmond sichert sich das Viertel nicht mit Mauern oder bewachten Toren ab,
aber imposante steinerne Pfeiler markieren den Übergang. Hat man sie erst
passiert, merkt man schnell, daß man sich jetzt in einer wohlhabenden und
privilegierten Enklave befindet. Die Grundstücke sind für städtische
Verhältnisse groß und die Häuser individuell gestaltet. Die ganze Umgebung ist
sehr gepflegt und der Blick atemberaubend. Allein der Gedanke an die Kosten,
die die Erhaltung eines dieser Anwesen verschlingen mußte, ließ eine bescheidene
Haus- und Grundbesitzerin wie mich schon zusammenzucken.
An diesem Abend legte sich ein seltsam
dichter Nebel vom Pazifik aus über die Stadt. Er machte die Fahrbahn rutschig
und die Kurven der gewundenen Straßen gefährlich. Er ließ die Konturen der
großen Häuser auf den Felsen verschwimmen, dämpfte Licht und Geräusche. Hinter
seinen Schwaden aber spürte ich verborgenes Leben und Treiben — trügerisch
ruhig und ein wenig bedrohlich.
Louise lotste mich über ein paar Irr-
und Umwege nach El Camino del Mar. Hier standen die Häuser gedrängt
nebeneinander, damit alle einen guten Blick auf das Meer hatten. Als wir uns
dem Lincoln Park näherten, kamen wir an einer langen, dicht bewachsenen Mauer
vorbei zu einer Auffahrt, die von Pfeilern gesäumt war. An einem davon hing gut
sichtbar ein Schild ›Zu verkaufen‹.
»Halt«, flüsterte Louise. Ihre Hand
griff eisig und mit verkrampften Fingern nach meiner Rechten am Steuer.
Ich lenkte den MG an den Bordstein und
beugte mich vor, um einen Blick auf das Haus zu erhaschen. Doch hinter der
Mauer und den Zypressen erkannte ich nur einen spitzgiebligen dunklen
Steinklotz. Ich nahm den Fuß von der Bremse und ließ den Wagen ein paar
Zentimeter weiterrollen.
»Fahren Sie besser nicht hinein«, sagte
Louise. »Hier kommt oft die Polizei vorbei.«
»Dann
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