Letzte Instanz
gehen wir eben zu Fuß weiter. Und
wenn jemand kommt, sagen wir, wir seien Kaufinteressenten.« Ich zeigte auf das
Schild am Pfeiler.
»Kaufinteressenten auf nächtlicher
Besichtigungstour?«
»Warum nicht? Wenn ich mir das hier
leisten könnte, dann würde ich es mir auch bei Nacht und nicht nur am Tag
ansehen. Sie nicht auch? «
Sie zuckte mit den Schultern, stieg
aber aus.
Bis auf das Tuten der Nebelhörner und
das gedämpfte Rauschen der See war es sehr still hier. Feuchte Kälte legte sich
auf meine Wangen. Man konnte das Salz riechen und schmecken. Ich ging zur
Einfahrt und marschierte los, Louise Wingfield im Schlepptau. Der Weg führte
durch das Zypressenwäldchen, das ich schon von außen gesehen hatte. Als wir es
durchquert hatten, blieb ich stehen und starrte auf das herrschaftliche Haus.
Es war groß, im englischen Stil erbaut,
mit Dachgauben im zweiten Stock und oberhalb des Ziegelmauerwerks
holzverkleidet. Umgeben war es von einer Feuerdornhecke. Neben der Eingangstür
befand sich ein großes Fenster mit Bleiverglasung. Die rautenförmigen Scheiben
waren dunkel und glanzlos. Die Ziegelmauern waren großenteils mit Efeu
bewachsen, und von den Dachrinnen unter dem Schieferdach hingen Weinranken
herab. Ein paar kleine Leuchten, die spärlich den Weg erhellten, sorgten für
trügerische Licht- und Schattenwirkungen.
Die Einfahrt mündete in einen ovalen
Parkbereich, auf dem wenigstens ein Dutzend Wagen Platz fanden. Ich wollte ihn
gerade überqueren, da merkte ich, daß Louise mir nicht folgte. Sie stand am
Rand des Zypressenwäldchens und starrte das Haus an, genau wie ich zuvor. Ihre
Arme hingen schlaff herab, aber als ich sie ansah, schlang sie sie um ihren
Körper. Sogar auf die Entfernung konnte ich sehen, wie sie schauderte. Ich
winkte ihr, mir zu folgen. Sie tat es zögernd.
»Wo war das Taubenhaus?« fragte ich.
»Da drüben.« Sie zeigte nach rechts, wo
das Gelände zur Klippe hin abfiel. »Sie haben es gleich nach dem Prozeß
abgerissen. Schon seit Jahren steht das Anwesen zum Verkauf, aber es hat sich
noch kein Käufer gefunden.«
Ich sah mich um. Das Grundstück hatte
einen reichen Baumbestand, krüppelige Monterey-Pinien, die dunkel im Nebel
aufragten. Wäre ich bis an den Klippenrand gegangen, hätte ich die Felsbrocken
und die Brandung am Strand von China Beach sehen können. So schön dieser Ort
bei Tag auch sein mochte, bei Nacht wirkte er einsam und verlassen. Dagegen
wirkte sogar das leere Haus einladend.
»Keine Käufer?« fragte ich Louise.
»Wenn man bedenkt, wie wertvoll das Land direkt an der See ist.«
»Das Gelände fällt hier steil ab und
ist sehr schwer zu bebauen. Dazu kommt der Mord, der hier geschehen ist. Das
Stigma ist zwar inzwischen verblaßt, aber das Grundstück ist noch immer zu
teuer und ebenso das Haus.«
»Aber ein Teil des Besitzes ist
verkauft worden?«
»Ja, Ende der fünfziger Jahre. Das
Haus, an dem wir vorbeigekommen sind, bevor die Mauer begann, hat damals zum
Institut gehört. Dort waren Konferenzräume und Wohnungen für Mitarbeiter. Aber
nach dem Mord wollten immer weniger Leute auf dem Grundstück wohnen, und
deswegen wurde das Haus verkauft.«
»Aus welchem Grund haben die
Mitarbeiter anfangs hier gewohnt?«
»Es war Russell Eyestones Wunsch. Er
wollte, daß seine handverlesene Schar Intellektueller in einer kleinen
Gemeinschaft fest zusammenlebte. Auf daß sich der eine am Genius des anderen
labe.«
»Das klingt sarkastisch.«
»Na ja, ich bin nicht allzu oft hierher
gekommen. Aber wenn, dann habe ich nie etwas gehört, das nach hochgestochenen
Diskursen klang.«
»Was haben Sie dann gehört?«
»Das gleiche Cocktail-Geschwätz und den
gleichen Tratsch wie zu Hause. Und immer ging es um Geld. Was Politik betraf — konservativ
einer wie der andere. Und viel niederträchtiges Gerede. Akademiker können die
übelsten Verleumder sein, die man sich denken kann.«
»Leonard Eyestone meint außerdem, sie
hätten keinen besonderen Sinn für Humor.«
»Leonard muß das schließlich wissen. Er
lacht nur auf Kosten anderer.«
»Erzählen Sie mir, worüber getratscht
wurde.«
»Über Leute, die ich nicht kannte. Über
Dinge, die mich nicht interessierten.«
»Und Sie sagten, es sei
Cocktail-Geschwätz gewesen. Wurde viel getrunken?«
»Harte Drinks. Daß Vincent Benedict
schwerer Alkoholiker war, war kein Geheimnis, aber die meisten schafften es
durchaus, mitzuhalten. Es ist schon erschreckend, wenn man bedenkt, daß solche
Leute so
Weitere Kostenlose Bücher