Letzte Instanz
großen Einfluß im öffentlichen Leben in Verteidigungsfragen dieses
Landes hatten.«
»War der Einfluß des Instituts so groß?«
»Ja. Ich weiß nicht genau, was für
Verträge sie hatten und was für Studien hier angefertigt wurden, aber das
Institut ist erste Wahl, vergleichbar mit RAND oder Brookings. Das Institut
spricht, und alle Entscheidungsträger hören zu.«
Ich merkte mir, daß ich noch Eyestones
Sekretärin anrufen und einen Termin verabreden wollte, um mit ihm über die
Denkfabrik zu reden.
Wieder tönte vom Gate ein Nebelhorn
herüber — der klagende Ruf einer umherirrenden Seele auf der Suche nach Trost.
Louise Wingfield schauderte, und
diesmal heftig. »Gehen wir«, sagte sie.
Zwar gab es hier nichts zu sehen,
dennoch hielt mich etwas zurück. »Gehen Sie schon mal zum Wagen«, sagte ich
ihr. »Ich komme gleich nach.«
»Machen Sie nicht zu lange.« Sie eilte
durch den Nebel davon. Einmal beugte sie sich vor, um eine Zigarette
anzuzünden.
Das Haus stand schweigend da. Ich
versuchte, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen und mir vorzustellen,
daß seine vielen Fenster erleuchtet waren und Musik und Lachen in die Nacht
hinausschollen. Doch das Bild nahm keine Gestalt an.
Ich drehte mich um und sah nach Norden,
wo die Bay ins offene Meer überging. Eine weiße Wand verstellte mir den Blick.
Hatte in jener Juninacht vor vielen Jahren auch Nebel geherrscht? Hatte Cordy
McKittridge’ Mörder diesen Nebel vielleicht genutzt, um sich heimlich zum
Taubenhaus zu schleichen? Und hatte der Nebel schließlich auch den blutigen
Rückzug des Mörders gedeckt?
Die Fragen hämmerten in meinem Hirn,
und Bilder stürmten auf mich ein. Eine Schattenfigur unbestimmten Geschlechts
glitt über den Rasen und durch das Blätterwerk. Lichtstrahlen aus dem Haus
schoben den Nebel für Momente zur Seite. Und drinnen vor rohen Ziegelmauern
weitere Schatten: Sie kündeten von Zorn, Wut, Gewalt. Und die langen Blätter
der Gartenschere glänzten... und stachen zu. Blut floß... spritzte auf...
Ich blinzelte. Wirbelte herum. Starrte
angestrengt über das leere Grundstück und zum Wohnhaus im Dunkeln hinüber.
Hier herrschte nicht mehr das Böse,
sagte ich mir. Es war nur ein leeres Haus, das darauf wartete, daß Makler
potentielle Käufer heranschleppten. Die anderen Wohnhäuser in der Nachbarschaft
standen fest und solide da, beleuchtet und bewohnt. Das Taubenhaus gab es nicht
mehr. Es war einfach eine angenehme Gegend, deren Bewohner ihr Leben stilvoll
und in Luxus zubrachten.
Doch die Erinnerung an das Böse lebte
in den Köpfen mancher Menschen fort. Und sie lebte auch noch in dieser
nebelverhangenen Dunkelheit.
10
Als ich am nächsten Morgen aufwachte,
fiel das Tageslicht grau durch die Jalousien. Deutlich spürte ich die
Feuchtigkeit des Nebels. Ich blieb noch eine Weile in meine Steppdecke eingerollt
liegen und hörte Rae zu, wie sie sich zur Arbeit fertig machte. Das Dach über
ihrem Zimmer bei All Souls war ja immer noch offen. Auch als sie gegangen war,
blieb ich noch im Bett, ich kämpfte gegen ein bleiernes Gefühl an und versuchte
herauszubekommen, was mich so beunruhigte.
Wenn es sein mußte, konnte mir eine
Menge beunruhigender Dinge einfallen, von ganz persönlichen bis hin zu
weltweiten, von wichtigen bis hin zu sehr profanen. Aber sie alle drückten mich
nicht nieder. Vielleicht war ›beunruhigend‹ nicht das richtige Wort. Sagen wir
besser... quälend.
Ich erinnerte mich an die Bilder, die
letzte Nacht in Seacliff an mir vorbeigezogen waren, und an andere, die meine
Träume verdunkelt hatten. Ich wollte sie schon beiseitewischen, da sagte ich
mir: Nein, sieh sie dir noch einmal genau bei Tageslicht an.
Es war kein erfreuliches Bild, das ich
sah. Aber erfreulich war ein Mord, selbst ein so lange vergangener, schließlich
nie. Doch der Mord war vor langer Zeit geschehen, begangen an einem
Menschen, dem ich nie begegnet war. Warum also diese lebendigen Bilder und
Alpträume? Woher das Gefühl, daß ich nicht gefeit war gegen plötzliche heftige
Emotionen, die ihren Ursprung in einer vergangenen Zeit hatten?
Ein Schauer lief mir über den Rücken,
und ich zog die Decke enger um mich. Vielleicht konnte man es eine krankhafte
Fixierung auf das Verbrechen nennen. Oder auch eine sonderbare psychische
Neigung. Doch welches Etikett man auch wählen mochte, als ich gestern abend vor
diesem Haus in Seacliff stand, hatte ich gespürt, wie es sich an diesem
22. Juni 1956
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