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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Cordy erinnern oder an die Zeit, als ich noch hübsch war. Bitte, gehen
Sie.«
    Verletzliche Menschen wie Melissa
Cardinal unter Druck zu setzen, ist etwas, das ich zutiefst verabscheue, aber
es ist ein notwendiger Teil meines Jobs. »Wußten Sie«, sagte ich, »daß Frank
Fabrizio Sie vor ein paar Wochen vormittags gesehen hat?«
    »Ich gehe nie...« Sie brach ab und
erinnerte sich.
    »Er hat Sie mit einem Begleiter vor dem
›Haven‹ gesehen.«
    Einen Moment lang dachte ich, sie würde
leugnen, dort gewesen zu sein, doch dann fragte sie fast schamhaft: »Was hat er
über mich gesagt?«
    »Daß Sie sich gut gehalten haben«, log
ich.
    Sie nickte. »Frank hatte schon immer
ein Auge auf mich geworfen, und ich glaube, ich habe ihn ein wenig ermutigt.
Hat mir Spaß gemacht — seine Frau war so eine dumme Kuh. Er hat mich wohl von
meiner guten Seite gesehen. Sonst...«
    »Warum waren Sie an dem Vormittag
unterwegs, Miss Cardinal?«
    »Wieso fragen Sie?«
    »Wenn Sie sonst nicht bei Tage
ausgehen, müssen Sie doch einen guten Grund gehabt haben. War es der Mann, den
Frank in Ihrer Begleitung gesehen hat?«
    »Welcher Mann?«
    »Frank hat ihn als mittelgroß, gut
angezogen beschrieben. Ein Gentleman.«
    »...Ach, der. Das war nur jemand, der
mir in der Bar einen Drink spendiert hatte.«
    »Dann sind Sie also einfach so um elf
Uhr vormittags auf einen Drink ausgegangen — mehr nicht?«
    »Was sonst?«
    Ich sah sie nur an. Bevor sie
wegschaute, entdeckte ich einen Anflug von Angst in ihren Augen.
    »Miss Cardinal«, sagte ich, »wenn Sie
in Schwierigkeiten sind, kann ich Ihnen helfen.«
    »Wieso sollte ich in Schwierigkeiten
sein?« Doch sie umklammerte ihre Katze so fest, daß die protestierend
aufschrie. Sie ließ sie los, und das Tier sprang wieder auf den Boden.
    Ich zog eine Karte aus meiner Tasche
und schrieb meine Privatnummer auf die Rückseite. »Sie erreichen mich Tag und
Nacht unter einer dieser Nummern, falls Sie Hilfe brauchen oder mit mir reden
wollen.« Ich stand auf und reichte sie ihr. Als sie nicht danach griff, legte
ich sie auf den Tisch.
    »Miss McCone«, rief sie mir auf dem Weg
zur Tür nach, »es tut mir leid, aber ich kann es einfach nicht riskieren.«
    »Was riskieren?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Bitte, gehen
Sie. Ich habe nicht viel vom Leben, aber deshalb bin ich noch keine
Selbstmörderin.«
     
     
     

11
     
    Nachdem ich mich von Melissa Cardinal
verabschiedet hatte, ging ich ins Haven, um vielleicht an eine bessere
Beschreibung des Mannes zu kommen, den Frank Fabrizio mit ihr gesehen hatte.
Zwar sagte der Barkeeper, er mache seit sechs Wochen ohne Unterbrechung die
Frühschicht, aber er behauptete zunächst, sich nicht an Melissa Cardinal zu
erinnern. Nachdem zehn Dollar den Besitzer gewechselt hatten, besserte sich
sein Gedächtnis soweit, daß sie ihm wieder einfiel, nicht aber der Mann. Für
weitere fünf Dollar kaufte ich mir die Beschreibung des Mannes, die in
mehrfacher Hinsicht der Fabrizios widersprach. Für den sehr kurz geratenen
Barkeeper war der Mann groß. Sein Haar sei eher blond als grau oder weiß
gewesen. Besondere Kennzeichen? Na ja, er habe mehr auf die Frau geachtet, so
korpulent, wie sie war. Ob er den Mann in ihrer Begleitung wohl als Gentleman
bezeichnen würde? Na ja, er habe nicht gerade zu der Sorte Stammpublikum
gehört, das er sonst im Haven bediene, aber es kämen eben alle möglichen Leute.
    Was nun? fragte ich mich, als ich aus
der düsteren Bar in die helle Sonne trat, die gerade durch den Nebel drang. Ich
mußte jetzt wirklich mit Richter Joseph Stameroff reden. Doch das ging
frühestens, wenn Judy aus New York zurück war. Auch hätte ich gern Leonard
Eyestone über die Arbeit seines Institute of North American Studies ausgefragt.
Aber der Herr Direktor hatte mich wissen lassen, vor nächster Woche habe er
keinen Gesprächstermin frei. Warum die Verzögerung? Ein voller Terminkalender —
oder der Wunsch, weiteren Gesprächen aus dem Weg zu gehen? In der Zwischenzeit
könnte ich in der Bibliothek recherchieren, aber das schien mir eine unnütze
Zeitverschwendung.
    Noch immer unentschlossen, machte ich
mich auf den Weg zu All Souls quer durch die Stadt, doch an der Ecke Market und
Church Street fuhr ich auf den Safeway-Parkplatz und ging zum Telefon.
Passenderweise saß Jack an Teds Schreibtisch und vertrat ihn über die Mittagszeit.
Für mich sei kein dringender Anruf notiert, sagte er, und auch von Rae, die mit
Willie Whelan zum Lunch gegangen sei,

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