Letzte Instanz
man Ihnen
beigebracht, so mit älteren Menschen zu sprechen?«
»Ein langes Leben gibt Ihnen noch
keineswegs das Recht zu Rücksichtslosigkeit.« Halt den Rand, McCone. Dieser
Mann da ist Judys Vater. Hast du schon vergessen, daß du dich mit ihm über den
Fall unterhalten wolltest? »Und auch die Tatsache, daß Sie Richter an
unserem Obersten Gericht sind, stellt Sie noch lange nicht über das Gesetz.« Mein
Gott, du lernst aber auch nie, oder?
Überraschenderweise kräuselten sich
Stameroffs Lippen zu etwas, was bei ihm wohl einem Lächeln am nächsten kam.
»Miss McCone«, sagte er, »ich verzeihe Ihnen Ihre Grobheit, wenn Sie mir meine
verzeihen.«
»...Darüber läßt sich reden.«
»Wenn Sie mich jetzt in Ihr Haus
bitten, könnten wir miteinander reden. Mein Fahrer fährt den Wagen um den
Block.« Er wandte sich an den Mann und setzte hinzu: »Zwanzig Minuten dürften
ausreichen.«
Als ich ihn die Stufen zu meinem braun
geschindelten Cottage hinaufführte, meinte Stameroff: »Wie ich sehe, ist dies
eins der Erdbebenhäuser.«
»Sie kennen sich damit aus?« Ich
schüttelte Hausschlüssel aus meinem Bund heraus.
»Einigermaßen. An die
viertausendsechshundert wurden nach dem Erdbeben und dem Brand von 1906 als
vorübergehende Unterkünfte gebaut. Zwei bis drei Zimmer. Ihres muß ein
Dreizimmer-Haus gewesen sein. Ofenheizung und keine Installation. Die Bewohner
wurden Eigentümer, wenn sie bis August 1907 die Häuser auf eigene Kosten
ausbauten.«
An seinem Vortrag merkte man, wie sehr
Stameroff es genoß, sein Wissen vorzuführen. Ich schmeichelte ihm. »Sie sind
sehr beschlagen.«
»Geschichte war meine erste Liebe, vor
der Juristerei.«
Drinnen überlegte ich, wohin ich ihn
für unser Gespräch bitten sollte, und entschied mich für das nicht so förmliche
Wohnzimmer. Auf dem Weg durch den Flur fiel mir auf, daß er mit aufmerksamem
Interesse die Einrichtung studierte.
»Sie haben viel aus dem Cottage gemacht«,
sagte er. »Wie viele Zimmer hat es jetzt?«
»Sechs. Zwei davon nebst Garage und
Untergeschoß wurden von Vorbesitzern dazugebaut. Von mir stammen das sechste
Zimmer und die Terrasse, und außerdem habe ich Küche und Bad renoviert.«
»Eigenhändig?«
»Einiges eigenhändig, einiges mit
Handwerkern.«
»Ihr jungen Frauen seid heutzutage so
unternehmungslustig.« Das klang väterlich und nachsichtig — und schrecklich
herablassend.
»Es war mal eine interessante Sache«,
war alles, was ich antwortete. Ich forderte ihn auf, sich zu setzen, und trug
meine Einkäufe in die Küche.
Als ich zurückkam, saß Stameroff auf
einer Stuhlkante und ließ seinen arroganten Blick von dem Kamin voller Asche
über den kunterbunten Haufen Taschenbücher auf dem Teppich schweifen und weiter
zu dem fleckigen Weinglas auf dem Kaffeetisch und den ausgetretenen Turnschuhen
mit den offenen Schnürsenkeln darunter. Plötzlich sah ich das Zimmer mit seinen
Augen. Es war nicht mehr der warme, willkommene Hafen, sondern die schäbige
Höhle einer hochnäsigen Frau, die zugleich eine schlechte Hausfrau war. Daß ich
mich nun auch noch in die Defensive gedrängt sah, heizte meine Wut auf ihn nur
weiter an, und ich setzte mich auf das Sofa, ohne ihm eine Erfrischung
anzubieten oder eine Entschuldigung hervorzubringen.
»Vermutlich haben Sie mit Jack Stuart
gesprochen«, sagte ich, »und von ihm erfahren, daß ich heute nachmittag zu
Hause sein würde.«
»Stimmt. Meine Tochter hat mich
gedrängt, mit Ihnen zu sprechen, und da ich gerade etwas Zeit hatte, beschloß
ich, herzukommen. Was wir zu besprechen haben, ist am besten in privater Sphäre
gesagt.«
»Ich weiß es zu schätzen, daß Sie
bereit sind, mit mir zu sprechen. Obgleich Sie wohl kaum mit meinen
Nachforschungen einverstanden sein können...«
»Das trifft sich gut, Miss McCone. Ich
bin nämlich keineswegs damit einverstanden. Ich bin in der Tat gekommen, um Sie
zu bitten, Ihre Bemühungen in der Sache Mrs. Benedict einzustellen.«
Das überraschte mich nicht. »Warum?«
»Weil ich meine Tochter liebe und Ihr
Herumwühlen in der schmerzlichen Vergangenheit sie nur verletzen kann.«
»Sie sieht das aber nicht so. Sollte
die Entscheidung nicht ihr selbst überlassen bleiben?«
Er seufzte. »Judy war immer schon
ein... Problemkind. Das ist natürlich nicht verwunderlich, wenn man bedenkt,
was ihr im verletzlichen Alter von zehn Jahren zugestoßen ist. Sie dramatisiert
das Ganze zu sehr und macht es sich nur selber schwer. Zuerst das Theater mit
der
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