Letzte Instanz
ebenfalls?«
»Also, für mich hat er keine privaten
Aspekte.«
»Aber du hast sie personalisiert.«
»Ja.«
»Ist es wichtig für dich?«
»Ja.«
»Dann bleib dran. Währenddessen stelle
ich ein paar diskrete Nachforschungen über Stameroff an.«
Hank mußte sich selbst eigentlich gar
nicht mit dem Fall befassen, und so schloß ich aus seinem Angebot, daß er sich
an einem wunden Punkt getroffen fühlte. Mehr als alle anderen Anwälte bei All
Souls spürt Hank die Last seines Schwurs, für Gerechtigkeit einzutreten. Mehr
als wir anderen stellt er sich stets auf die Seite der Unterprivilegierten.
Ich bedankte mich für die Koralle und
ging in mein Büro hinauf. Ich sah rasch die Mitteilungen durch, erledigte
einigen Papierkram und führte ein paar Telefongespräche. Dann schwenkte ich in
meinem Schreibtischsessel herum und starrte durch das Fenster hinaus auf die
Bay, betrachtete das Spiel von Licht und Schatten über den Häusern jenseits des
dreieckigen Parks und dachte an Louise Wingfield. Es ärgerte mich schon, daß
sie mir anfangs ihre Affäre mit Vincent Benedict verschwiegen hatte, aber
wahrscheinlich wollte sie wirklich bloß ihr Recht auf Privatsphäre verteidigen.
Und ich hatte nur Melissa Cardinais Aussage über das Ausmaß, in dem Louise
Cordy gehaßt hatte.
Welchen Glauben konnte ich Melissa
Cardinais Äußerungen schenken? Die Frau war eine Erpresserin. Bei Louise
Wingfield hatte sie zwar keinen Erfolg damit gehabt, aber vielleicht hatte sie
Gleiches ja bei anderen probiert — bei dem Mann im Haven zum Beispiel.
Vielleicht hatte er es geschafft, den Spieß umzudrehen und nun Melissa Angst
einzujagen.
Wer war Melissa überhaupt? Es mußte
mehr in ihrer Vergangenheit geben als ihren Job als Stewardeß. Wie hatte sie
Cordy kennengelernt? Wenn ich darauf eine Antwort fände, würde sich vielleicht
auch vieles andere klären.
Ich mußte Melissas Weg zurückverfolgen,
von ihrer gegenwärtigen Adresse an der James Alley bis weit zurück in die
frühen Fünfziger...
Jemand klopfte gegen den Türrahmen. Ich
schwenkte in meinem Sessel herum und sah Jack. Er fragte: »Hast du einen
Augenblick Zeit für mich?«
»Sicher.«
Er trat ein, schob mein Tonbandgerät
und die Kameratasche zur Seite und hockte sich ans Fußende der Chaiselongue.
»Wir haben ein Problem.«
»Noch mehr Ärger mit Stameroff?«
»So ungefähr. Ich komme gerade von
einem Gespräch mit James Wald, der das Historische Tribunal organisiert. Sie
haben jetzt eine Jury zusammengestellt und die Verhandlung für das kommende
Wochenende angesetzt.«
» Was ? Warum so bald schon?«
»Weil Stameroff sich an Wald und
Richter Valle gewandt hat und wieder die Rolle des Anklägers spielen will. Wald
mit seiner Publicity-Sucht konnte der Versuchung nicht widerstehen, beide noch
einmal in Lis’ neuem Verfahren einzusetzen und damit einen Richter vom Oberen
Gerichtshof vorweisen zu können. Rudy ist vom juristischen Standpunkt daran
interessiert. Er möchte eine Rekonstruktion der Benedict-Anklage.«
»Aber warum an diesem Wochenende?«
»Darauf hat Stameroff bestanden. Er
sagte, es sei der einzige freie Termin auf Monate hinaus. Meiner Meinung nach
will er es hinter sich bringen, bevor deine Ermittlungen irgend etwas anderes
aufdecken.«
»Der Schweinehund.« Ich trommelte mit
den Fingern auf den Schreibtisch. »Stameroff muß tatsächlich etwas zu verbergen
haben. Er begibt sich in eine Situation, die ihm möglicherweise gefährlich
werden kann, und zwar in der Hoffnung, sie damit irgendwie unter Kontrolle zu
haben.«
»Und wie es im Moment aussieht, wird
ihm das wohl auch gelingen.«
»Wie sieht denn deine
Verteidigungsstrategie aus?«
»Berechtigter Zweifel — daran hat der
echte Verteidiger nie gedacht.«
»Und wann lernst du die Leute kennen,
die die Rolle der Zeugen spielen?«
»Morgen früh.«
»Kannst du den Inhalt ihrer Aussagen,
wie du ihn morgen vorgibst, später noch verändern?«
»Jederzeit bis zu dem Augenblick, in
dem sie in den Zeugenstand treten. Und denk daran, die Verteidigung ist erst am
Sonntag an der Reihe.«
»Damit gewinnen wir Zeit.«
»Du glaubst noch immer, du findest neue
Beweise?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Setzen
wir uns erst mal und schauen, was wir haben.« Ich packte meine Akten unter den
Arm, und wir gingen nach unten in unsere Bibliothek, wo wir alles auf dem
großen Zeichentisch ausbreiteten. Rae hatte uns gehört und tauchte aus ihrem
Verschlag unter der Treppe auf, immer noch
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