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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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hatte sie gesagt, Zaunkönig oder Fink — und auch ihre
gegenwärtige Adresse nicht zu kennen. Bei unserer jetzigen Begegnung
konfrontierte ich sie zwar mit ihrer Geschichte, doch von Melissas
augenblicklichen Lebensumständen hatte ich nichts erwähnt.
    »Wie kommen Sie darauf, daß sie zornig
ist?« fragte ich.
    »Wer wäre das nicht? Sie ist entstellt,
wohnt in zwei kleinen schäbigen Zimmern und lebt von der Sozialhilfe und einer
Rente.«
    Ich gab keine Antwort. Ließ das
Schweigen sich ausdehnen, bis Louise Wingfield den Blick senkte und nach ihrem
Zigarettenpäckchen tastete. Sie fand es, klopfte eine heraus und zündete sie
an, bevor ich sie fragte: »Seit wann wissen Sie, wo Melissa wohnt?«
    »Seit vergangenem Dienstag. Habe ich
Ihnen das nicht erzählt? Nein, es war ja Montag abend, als wir nach North Beach
und Seacliff fuhren. Melissa hat mich am nächsten Morgen angerufen. Ich war
ganz überrascht, da wir doch am Abend vorher noch mit Frank Fabrizio über sie
gesprochen hatten.«
    »Was wollte sie von Ihnen?«
    »Mich treffen. Ich bin zu ihr gefahren
und habe sie angehört.«
    Auf sie hatte Melissa also gewartet,
als ich sie letzten Dienstag aufsuchte. »Ganz förmlich heute«, hatte sie gesagt
— sie hatte Louise erwartet — und war dann ganz verwirrt gewesen, auf der Treppe
einer Fremden gegenüberzustehen.
    »Was wollte sie?« fragte ich.
    »Geld.«
    »Geld dafür, daß sie über Sie und
Vincent Benedict schwieg?«
    Sie zögerte und nickte dann. »Ich kann
die Affäre genausogut zugeben. Ich bin keine gute Lügnerin.«
    »Haben Sie ihr Geld gegeben?«
    »Nein. Ich habe ihr Hilfe angeboten,
weil es ihr so offensichtlich schlecht geht, aber ich habe ihr auch gesagt, daß
sie sich selbst helfen muß. Es gibt in ihrer Gegend ein hervorragendes
Senioren-Center mit Beratungsprogrammen, aber Melissa war nicht interessiert.
Also sagte ich, sie solle mit ihrer Information über Vincent und mich machen,
was sie wolle, und ging.«
    »Es beunruhigte Sie nicht, welchen
Gebrauch sie davon machen könnte?«
    »Natürlich wollte ich nicht, daß sie es
irgendwem erzählte. Ich hoffte, sie würde es einfach vergessen, was
wahrscheinlich auch passiert wäre, wenn Sie sie heute nicht besucht hätten. Ich
merke zwar, daß ich in Ihrer Achtung ziemlich gesunken bin, aber Schlimmeres
wird kaum dabei rauskommen. Ich habe Cordy nicht getötet. Mein Alibi für die
Nacht ist, wie es im Fernsehkrimi immer heißt, hieb- und stichfest, lebt
überdies noch und wird wohl auch wieder für mich sprechen. Meine alten Freunde
werden vielleicht einen kleinen Kitzel verspüren, wenn die Geschichte herauskommt,
aber ich mache mir schon längst nichts mehr aus der Meinung der Leute. Damit
habe ich aufgehört, als ich meinen Mann verließ und einen Skandal provozierte,
indem ich für einen fairen Anteil an unserem gemeinsamen Vermögen vor Gericht
zog. Ich lebe heute ganz anders, und kein Ereignis aus jener schlimmen früheren
Zeit kann mich noch verletzen.«
    Ich mußte ihre Aufrichtigkeit bewundern
— soweit sie mich nicht mit Bedacht in die Irre führen sollte. »Ich hoffe in
Ihrem Interesse, daß Sie recht haben«, sagte ich. »Darf ich Ihnen noch ein paar
Fragen stellen?«
    »Wenn es mich nicht zuviel Zeit
kostet.«
    »Sie haben Vincent Benedict durch Cordy
kennengelernt?«
    »Ja, bei einer Instituts-Party im
August vierundfünfzig.«
    »Und das war zu der Zeit, als sie mit
Leonard zusammen war?«
    »Auch das stimmt.«
    »Können Sie sich irgendwie daran
erinnern, wo und wann Cordy Melissa kennengelernt hat?«
    »Nein. Ich vermute, es war im Herbst
dreiundfünfzig, als sie die Idee mit dieser Wohnung hatte. Aber ich war in
Stanford und ziemlich außer Reichweite. Ich weiß ehrlich nicht, was sie damals
machte oder wer ihre Freunde waren.«
    »War sie vielleicht schon damals mit
Leonard zusammen?«
    »Kann sein. Sie hatte sonst keinen
Freund, jedenfalls keinen aus unseren Kreisen. Ihr Begleiter beim Cotillion war
der Sohn eines Geschäftsfreundes ihres Vaters.«
    »Warum nicht Leonard?«
    Louise Wingfield lächelte. »Man merkt,
daß sie kein Emily-Post-Zögling sind — Gott sei Dank. Als Begleiter bei
Cotillions fungieren üblicherweise College-Studenten und nicht Männer über
dreißig.«
    »Also suchte Cordy die Gesellschaft von
älteren Männern?«
    »Schon auf der High-School. Wenn Sie
wissen wollen, seit wann sie mit Leonard zusammen war, fragen Sie ihn doch
selbst.«
    »Das werde ich. Darauf können Sie

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