Letzte Instanz
sich
verlassen.«
18
Kein Handwerkerauto blockierte mehr die
Straße vor All Souls, und soweit ich sehen konnte, paßte jetzt auch der
Seitenanstrich des viktorianischen Baus farblich mit der Front zusammen. Ted
blätterte auf seinem Schreibtisch in einem Katalog für Büromaterial. Um seine
Schultern lag ein rotweißer Blumenkranz.
»Hank ist zurück!« rief ich.
Ted lächelte wohlwollend, während er
mir einen Stapel Notizzettel in die Hand drückte.
Ich sah nach dem Fähnchen an Jacks Box:
Es zeigte an, daß er außer Haus war. Dann lief ich durch den Gang in Hanks
Büro. Mein Boß — und lieber Freund zugleich — stand über sein von Papieren
übersätes Rollpult gebeugt und fuhr sich mit der Hand durch das Haar, das mich
immer an Stahlwolle erinnerte. Er versuchte, das Gekritzel auf einem Notizblock
zu entziffern. Als ich klopfte, blickte er auf, und ein breites Grinsen zog
über sein Gesicht.
»Wie kommt es«, sagte ich, »daß die
Hölle los ist, sobald du weg bist, und mit deiner Rückkehr sofort wieder
Frieden und Harmonie einkehren?«
»Weil ich eben zaubern kann, Baby«,
sagte er in seinem singenden Tonfall, stand auf und umarmte mich.
»Der Urlaub scheint dir gut bekommen zu
sein. Wie geht es Anne-Marie?«
»Sie ist unterwegs und rettet den
Regenwald.«
»Tatsächlich?« Anne-Marie Altman, Hanks
Frau, war Hauptbevollmächtigte eines Zusammenschlusses verschiedener
Umweltschutzgruppen. Dazu gehörte auch die Stiftung, die Hy leitete.
»Jedenfalls ist sie nach Sacramento
gefahren. Nur für ein paar Tage.« Hank öffnete seine Aktentasche, zog ein
kleines, in Seidenpapier eingewickeltes Päckchen heraus und gab es mir.
»Oh, toll — ein Geschenk für mich!« Ich
setzte mich in den Besuchersessel und fummelte an der Schleife herum. Geschenke
spielen seit jeher eine große Rolle bei All Souls, und die von Hank sind die
besten, weil er stets den Empfänger ganz persönlich im Auge hat. Meines war
diesmal ein kleines, sonnengebleichtes Korallenstück, das sehr zerbrechlich
aussah.
»Du hast es dir gemerkt«, sagte ich.
Jahrelang besaß ich ein Korallenstück, das ich mir von einem Hawaii-Urlaub
mitgebracht hatte. Ich trug es stets im Reißverschlußteil meiner Handtasche mit
mir herum. Eines Tages war es plötzlich nicht mehr da, und das hatte mich mehr
geschmerzt, als eigentlich angemessen war. Damals wurde mir klar, daß unbewußt
die Koralle für mich ein Talisman gegen Katastrophen aller Art gewesen sein
mußte. Und wenn ich mich auch brüstete, nicht abergläubisch zu sein, hatte ich
es doch lange vermißt. Jetzt nahm ich das neue Korallenstück und stopfte es
tief in meine Tasche.
»Bewahre es gut auf«, sagte Hank.
»Aber verlaß dich nicht drauf.«
»Wie?«
»Altes Sprichwort. In gewisser Weise
lebe ich danach.« Dann berichtete ich ihm über Raes und meine Aktivitäten
während seiner Abwesenheit und endete mit dem Fall Benedict. »Was weißt du über
Joseph Stameroff?« wollte ich schließlich wissen.
Hank nahm seine dicke Hornbrille ab und
kaute auf dem zernagten Bügel hemm. »Stameroff, ein übler Patron. Konservativ
bis auf die Knochen. Hat sich zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung für ein paar
vorsintflutliche Entscheidungen stark gemacht.«
»Kann er — oder könnte er je — käuflich
gewesen sein?«
»Sicher kann er das. Das können wir
alle, wenn der Preis stimmt. Aber wenn du wissen willst, ob er tatsächlich...
Ich würde sagen, ja. Stameroff ist kein so guter Jurist. Er ist so weit
gekommen, weil er gefällig war.«
»Wem?«
Hank zuckte mit den Schultern.
»Glaubst du, er könnte im Fall Benedict
etwas vertuscht haben? Er war damals Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt. Und
plötzlich bekam er die Anklagevertretung in diesem aufsehenerregenden Fall.
Wieso? Es sei denn, jemand hielt ihn für leicht manipulierbar.«
»Hast du Stameroff das gefragt?«
»Er sagt, seine Wahl für diesen Fall
sei ›naheliegend‹ gewesen. Wegen seiner Prozeßerfahrung in ähnlichen Fällen.«
»Hm. Im Grunde weiß ich nicht allzu
viel über den Fall Benedict — schließlich war ich sechsundfünfzig noch ein
Kind.«
»Okay, riskiere eine Theorie.«
»Nach dem, was du berichtest, halte ich
es für möglich, daß er etwas vertuscht hat.« Hank nagte weiter an seinem Brillenbügel.
»Die Sache scheint dich sehr zu beschäftigen.«
»...Ich glaube, ja.«
»Was ist mit Jack? Glaubst du, er
widmet einem eigentlich sehr privaten Fall zuviel Zeit?«
»Mag sein.«
»Und du
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