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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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In
den Firmen zirkulierte eine Schwarze Liste, lange vor der in Hollywood. Jane
war nie sehr stark gewesen, und der Druck, dem sie ausgesetzt war, forderte
seinen Tribut. Als sie die Lungenentzündung bekam, raffte die sie hinweg. Ein
paar Wochen nach ihrem Tod verschwand Larry.«
    Rupert hielt erneut inne und legte die
Stirn gegen die Fingerspitzen. Ich spürte, wie er um Fassung rang. »Larrys Sohn
Roger hat über drei Jahre lang nach ihm gesucht. Im Spätsommer dreiundfünfzig
fand er ihn in der Krankenstation einer Wohltätigkeitseinrichtung in L. A. —
seine Leber und sein Verstand waren kaputt. Zwei Tage später starb er.«
    Ruperts Stimme war brüchig geworden. Er
räusperte sich wieder. Barbara ließ einen kleinen Seufzer hören — Verständnis
und Mitgefühl. »Ich bin sicher, Sie haben darüber gelesen, wie es im Kalten
Krieg zuging, Sharon«, sagte sie. »Zum Glück ist die Geschichte revidiert
worden, so daß man heute die Wahrheit sagen kann. Aber nur, wer es selbst
erlebt hat, kann den Terror, der damals geherrscht hat, nachempfinden. Rupert
hat ihn als Arbeiter erlebt, ich als Intellektuelle, aber glauben Sie mir, der
Terror war der gleiche.«
    »Nicht alle antikommunistischen
Gewerkschaftsmitglieder waren solche Schufte wie die drei, die Larry
zusammengeschlagen haben«, setzte Rupert hinzu. »Die meisten waren wie ich,
gute Gewerkschafter, die sich darum kümmerten, daß die Arbeiterbewegung am
Leben blieb. Es war einfach das Klima jener Zeit. Deswegen schäme ich mich
nicht.«
    Er senkte die Stimme, die jetzt rauh
klang. »Aber ich schäme mich, weil ich nichts für Larry getan habe. Ich sah,
was auf meinen Freund zukam. Ich habe ihn sogar gewarnt. Aber ich habe mich nie
aus dem eigenen Versteck gewagt, um ihm zu helfen.«
    »Das war die Taktik der Kreuzzügler in
der Regierung gegen uns«, sagte seine Frau. »Wir sollten Angst vor ihnen
bekommen, und, noch schlimmer, Angst voreinander. Ein Mensch, der Angst vor
seinen Kameraden hat, vereinsamt, und ein einsamer Mensch ist leicht zu
beeinflussen.«
    »Was dennoch keine Entschuldigung für
mein Nichtstun war.«
    »Keine Entschuldigung — eine
Erklärung.«
    Ich schwieg einen Moment lang und
dachte über diese gefährliche Einsamkeit nach. Dann fragte ich: »Was ist aus
Roger Woods geworden?«
    Rupert hob den Kopf und sah Barbara an.
»Das weiß keiner genau«, antwortete er. »Aus dem, was mir sein Vater erzählte,
schloß ich, daß Roger sehr weit links stand. Nach den Prozessen wegen
Verschwörung neunundfünfzig gingen viele Parteimitglieder in den Untergrund.«
    »Meinen Sie damit, Roger war
Kommunist?«
    »Auch das weiß ich nicht. Ich habe ihn
nie persönlich kennengelernt. Ende dreiundfünfzig rief er mich an und sagte
mir, daß sein Vater tot sei. Danach habe ich kein Wort mehr von ihm gehört.«
    »Das muß zu der Zeit gewesen sein, als
er und Melissa zusammen in North Beach wohnten. Er war nicht lange dort. Ihr
Vermieter hat ihn als finster und unfreundlich beschrieben.«
    »Verständlich, wenn man das Schicksal
seines Vaters bedenkt.«
    »Das war das Schicksal aller«, sagte
Barbara. »Die Ironie dabei ist nur: die ›rote Gefahr‹, der russische
Kommunismus, ist inzwischen tot. Doch die unsinnige Angst unserer Regierung vor
dieser Gefahr hat das Leben vieler unserer Leute zerstört.« Sie fuhr fort, vom
Kalten Krieg und dem antikommunistischen Kreuzzug zu erzählen. Und obwohl ich
eine ganze Menge darüber gelesen hatte, fing ich erst jetzt an zu begreifen,
was sie den Terror jener Zeit genannt hatte.
    Barbara beschrieb eine Welt, in der der
Boden unter den Füßen des Normalbürgers so unsicher war wie Treibsand. Eine
Atmosphäre von Unterdrückung, in der ein Mensch seine Lebensgrundlage allem
dadurch verlieren konnte, daß er einer Wohltätigkeitsorganisation einen Scheck
ausstellte, der man linke Tendenzen nachsagte. Eine Zeit, in der die
Denunziation von Freunden, Nachbarn und Verwandten als einzige
Überlebensmöglichkeit galt. Als die Wahrheit Wachs war in den Händen von
Inquisitoren aus dem Kongreß. Als die wahrheitsgemäße Feststellung von
Tatsachen verdreht und als Bumerang gegen ihren Urheber verwendet wurde. Ein
solches Leben muß der Fahrt in einer Geisterbahn nicht unähnlich gewesen sein,
in der man auch nicht weiß, was hinter der nächsten Tür lauert. Plötzlich tut
sich eine Falltür auf, und man ist verschwunden.
    Als ich mich von den Joslyns
verabschiedete, kam mir meine eigene Welt plötzlich sehr unsicher

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