Letzte Instanz
verhelfen. Das hätten wir so auch schon mit
den Kommunisten und den Vietnamkriegsgegnern machen sollen.«
Mein Unbehagen nahm heftig zu. »Sie
meinen, sie sich zunutze zu machen, ohne daß sie sich dessen bewußt sind?«
»Im großen und ganzen, ja.«
»Um den Status quo zu erhalten?«
»Ihn zu verbessern.«
»Aber zugleich die Position derer, die
derzeit an der Macht sind, zu festigen?
»Nun ja...« Er zuckte mit den
Schultern.
»Und Veränderungen zu verhindern,
soweit sie nicht von der Regierung selbst verordnet sind?«
»Im Sinne eines höheren Wohls.«
Bedrückt sah ich mir die Fotos ringsum
an den Wänden an. Sie alle legten eindeutig Zeugnis ab für eine beständige
Allianz zwischen dem Institut und den jeweils Herrschenden. Zuviel Macht
versammelte sich in diesem Eyestone-Heiligtum für Intellektuelle. Verdammt
zuviel Macht, die gebraucht werden konnte — mißbraucht, um rücksichtslos die
Rechte des weitgehend machtlosen Individuums zu übergehen.
»Das gefällt Ihnen nicht«, sagte
Eyestone.
»Es endet für mich beim Großen Bruder.«
Er tat es mit einem Brummen ab.
»Erfundener Quatsch — und total überholt. Für mich hat Extremismus in der
modernen Gesellschaft einfach keinen Platz. Terroristen, Massenmörder,
Demonstranten aller Schattierungen: Wir können uns keinen ungezügelten
Individualismus mehr leisten. Und genauso wenig einen ungeplanten sozialen
Wandel.«
Selten hatte ich mich durch eine
Argumentation so in eine Falle gelockt gefühlt wie hier, und ich spürte, daß
genau das die Absicht war. Eyestone hatte mich vor ein ausgesprochenes Dilemma
gestellt: Einerseits verabscheute ich Terroristen und Mörder genauso wie
Demonstranten, die zu sinnloser Gewalt oder Einschüchterungspraktiken neigten.
Andererseits, wenn er von der Beschneidung der Rechte des Individuums sprach...
»Welchen Platz nimmt das Grundrecht auf
Freiheit in diesem Schema ein?« fragte ich.
»Es wird gewaltig überbewertet. Wenn
Sie glauben, es existiere heute noch, sind Sie politisch naiv.«
»Ich bin politisch nicht so naiv, wie
Sie glauben. Sie reden hier von einer Oligarchie, in der nur denen das Recht
auf Meinungsäußerung zugestanden wird, die von einigen wenigen Machtträgern
dazu autorisiert sind. Und so weit sind wir heute noch nicht.«
Eyestones schiefes Gesicht verzog sich
zu einem Lächeln. »Oligarchie! Donnerwetter, McCone, ich hatte keine Ahnung,
daß Sie über so einen umfangreichen Wortschatz verfügen!«
»Da sehen Sie, Dr. Eyestone, ein paar
viersilbige Wörter schnappt man eben zwangsläufig auch in Berkeley auf. Aber um
auf unser Thema zurückzukommen — teilen Ihre Kollegen am Institut eigentlich
Ihre persönliche Meinung?«
»Der eine mehr, der andere weniger.«
»Und war das immer schon die politische
Linie des Instituts?«
»Sie meinen doch sicherlich, ob das
auch die Linie zur Zeit des McKittridge-Mordes war, nicht? Mehr oder weniger.«
»Waren die Intellektuellen der Ära des
Kalten Kriegs nicht eine ziemlich konservative Gesellschaft?«
»Ja, abgesehen von den paar hinlänglich
bekannten Ausnahmen — C. Wright Mills zum Beispiel und Erich Fromm. Dafür gab
es eine Reihe Gründe, sowohl dramatische — das war die Angst vor McCarthys
Untersuchungsausschuß gegen antiamerikanische Umtriebe und den Schwarzen Listen
— als auch sehr prosaische — Gefallen an der Wohlstandsgesellschaft der
Nachkriegszeit. Beides war auch hier am Institut spürbar. Wir sind eine private
Gesellschaft, die mein Vater gegründet und aufgebaut hat. Unsere Aufträge sind
unsere Existenz, und Aufträge kommen von der Regierung und aus der Wirtschaft.
Die jeweiligen Implikationen können Sie sich sicher vorstellen.«
»O ja.«
»Das klingt so mißbilligend. Aber es
paßt zu einer Berkely-Absolventin, die mal ein paar dieser Vier-Silben-Wörter
aufgeschnappt hat.« Er lächelte dazu, als wolle er unserer Unterhaltung die
Schärfe nehmen. »Was kann ich Ihnen sonst noch über mein Institut erzählen? «
»Ich würde gern ein wenig über Cordy
sprechen. Wie lange hatte Ihr Verhältnis gedauert, bevor sie es abbrach?«
Mein Themenwechsel schien ihn
überrascht zu haben, und er mußte einen Augenblick nachdenken, ehe er
antwortete. »Ungefähr zweieinhalb Jahre.«
»Zu Beginn war sie also noch ein
kleines High-School-Mädchen?«
»Cordy war nie nur ein
High-School-Mädchen, und sie war sehr... überzeugend, wenn sie etwas — oder
jemanden — haben wollte. Im Rückblick ist mir klar, daß ich
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