Letzte Instanz
hielten, Auszeichnungen entgegennahmen, bekannten
Persönlichkeiten die Hände schüttelten. Eines erkannte ich wieder. Ich hatte es
schon auf Mikrofilm in der Bibliothek gesehen. Es zeigte John Foster Dulles mit
den Eyestones. Auf einem anderen entdeckte ich eine attraktive, junge Lis
Benedict. Sie saß am Kopf einer Bankettafel. Ich trat näher und sah mir den
Mann zu ihrer Rechten an. Vincent Benedict, ein dunkler, leichtlebiger Typ, war
auf seine Art ein gutaussehender Mann gewesen. Die Kamera hatte ihn in einer
wohl für ihn charakteristischen Pose festgehalten, das Cocktailglas halb zum
Mund erhoben. Alle Fotos, auch die neuesten, trugen unten links in der Ecke in
silberner Prägung denselben Namen: Loomis.
»Ah, da sind Sie ja.« Leonard Eyestone
stand hinter mir.
Ich drehte mich um. Er trug einen untadelig
geschnittenen grauen Nadelstreifenanzug, doch sein Gesicht wirkte aufgedunsen,
die hervorstehenden Augen müde. Wir gaben uns die Hand, und er zeigte auf die
Bank.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht,
unterhalten wir uns hier«, sagte er. »In meinem Büro herrscht das Chaos. Wir
bereiten gerade eine Pressekonferenz vor, und irgendwie scheinen meine
Mitarbeiter zu glauben, daß Reporter auch auf Details wie Staub achten.«
»Eine Pressekonferenz? Worüber?«
Ȇber einen neuen, recht umfangreichen
Vertrag — ein regelrechter Coup. Eine auf fünf Jahre angelegte, mit sechzig
Millionen Dollar dotierte Studie über die religiöse Rechte. Das Hauptgewicht
liegt auf ihren destruktiven Taktiken und ihrem Potential zur Unterwanderung
etablierter sozialer Institutionen. Wenn die Ergebnisse unsere Vermutungen
bestätigen, werden wir auch den Rahmen für ein entsprechendes
Informationssystem entwickeln — öffentliche Seminare, Lehrveranstaltungen auf
dem Campus — , um die Bürger auf eventuelle Gefahren hinzuweisen.«
»Wurde die Studie von der Regierung in
Auftrag gegeben?«
»Vom Ministerium für Gesundheit,
Erziehung und Wohlfahrt.«
»Ich staune, daß unsere gegenwärtige
Regierung sich für rechte Sekten interessiert.«
»Wieso? Sie sorgt sich um die
Stabilität unserer Gesellschaft. Die religiöse Rechte besteht aus Extremisten.
In der Vergangenheit haben sie oft genug für Unruhe gesorgt. Sie sind in der
Lage, der Position der Konservativen unkalkulierbaren Schaden zuzufügen.«
Ich konnte seine Sichtweise
nachvollziehen. Als Liberale war auch ich besorgt über die zunehmende Bedeutung
der religiösen Rechten. Aber daß die Regierung eine Studie in Auftrag gab, mit
deren Hilfe diese Rechte nun offensichtlich unter Kontrolle gehalten werden
sollte, hatte für mich den gleichen Beigeschmack von Intoleranz wie umgekehrt
die Kampagne der religiösen Rechten für ein Verbot der Abtreibung, der
Evolutionslehre in den Schulen und von Büchern, die nicht dem eigenen
engstirnigen Weltbild entsprachen.
»Diese Studie ist inhaltlich wohl
meilenweit entfernt von dem Auftrag, den Ihr Institut an dem Abend der
Öffentlichkeit vorgestellt hat, als Cordy McKittridge ermordet wurde«, wandte
ich ein. »Von der Verfolgung der extremen Linken zur Verfolgung der extremen
Rechten ist es ein weiter Weg für nur sechsunddreißig Jahre.«
»Miss McCone, wir ›verfolgen‹ niemanden
und haben es auch nie getan. Wir haben lediglich den Auftrag von der Regierung,
bestimmte Fakten zu ermitteln.«
»Und nach der Herausgabe Ihrer Berichte
ist es Ihnen egal, wie sie interpretiert werden? Wie sie benutzt werden — oder
gegen wen?«
Er seufzte, als wäre er es leid, einem
etwas zurückgebliebenen Kind ein einfaches Konzept zu erklären. »So ist es. Wir
haben lediglich den Auftrag, Informationen zu sammeln und dabei objektive
Methoden der Analyse anzuwenden.«
»Und Sie haben kein persönliches
Interesse an dem, was dabei herauskommt?«
»Persönliches Interesse? Nein. Aber
wenn Sie mich fragen, ob ich eine persönliche Meinung dazu habe, dann ist das
etwas ganz anderes. Ich glaube, jede Art von Extremismus hat negative
Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Aber wenn wir sie im Zaume halten und
kanalisieren können, lassen sie sich zum Wohle der Öffentlichkeit nutzen. Für
unsere derzeitige Studie heißt das: Wenn wir die religiöse Rechte objektivieren
und quantifizieren können — laienhaft ausgedrückt: herausbekommen, was sie in
Schwung hält —, können wir ihre unerwünschten Auswirkungen neutralisieren und
zugleich wieder die Kräfte nutzen, die der amerikanischen Gesellschaft
insgesamt zu größerer Stabilität
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