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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aussprechen konnte.) Und Tony liebte es, in Chinatown einzukaufen - er mochte sogar die lange Rückfahrt nach Iowa auf der Interstate 80. Über Land wechselte sich der Koch mit Kleiner Bruder beim Fahren ab, aber in New York City überließ er das Steuer Xiao Dee.
    Dienstags nachmittags brachen sie in Iowa auf und fuhren die ganze Nacht durch; mittwochs, kurz vor dem morgendlichen Stoßverkehr, tauchten sie dann aus dem Holland Tunnel auf und fuhren durch die Hudson und die Canal Street weiter. Wenn dann der Markt begann, parkten sie bereits in Chinatown, irgendwo zwischen Pell und Mott Street. Die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag verbrachten sie jeweils in Queens oder auf Long Island, und am Donnerstagmorgen brachen sie noch vor dem Berufsverkehr wieder auf. An den Wochenenden war im Mao's immer viel los. Selbst die Austern, die Miesmuscheln und der frische Fisch aus Chinatown würden am Freitagabend noch frisch sein, mit ein wenig Glück sogar noch am Samstagabend.
    Nie hatte sich der Koch stärker gefühlt; zwar hatte er in Iowa seinen neunundvierzigsten, fünfzigsten und einundfünfzigsten Geburtstag gefeiert, doch von dem Be- und Entladen von Xiao Dees Kühllaster hatte er nun Muskeln wie ein Möbelpacker. Sie hatten immer Unmengen schweres Zeug dabei: die Kisten Tsing-tao-Bier, das Fass mit Meerwasser samt den dampfenden Trockeneisblöcken für die Muscheln, die Bottiche mit zerstoßenem Eis für die Austern. Auf dem Rückweg hielten sie meist an einem Getränkemarkt in Indiana oder Illinois, um mehr Eis zu kaufen. Die Flunder, den Seeteufel, den Wolfsbarsch, den schottischen Lachs, die Jakobsmuscheln, die Garnelen, die Lap-Xuong-Wurst und sämtliche Krabben lagerten sie ebenfalls auf Eis. Während der ganzen Fahrt nach Westen schmolz und schwappte es im Lastwagen. Einer der Gefrierschränke roch immer nach Tintenfisch, den sie in gefrorenem Zustand transportierten. Die großen, braunen Steinguttöpfe mit eingelegtem Chinakohl mussten in Zeitungen eingewickelt werden, damit sie nicht gegeneinanderstießen und zerbrachen. Laut Xiao Dee hieß es das Unglück herauszufordern, wenn man die getrockneten japanischen Anchovis auch nur in der Nähe der eingelegten chinesischen Enteneier lagerte.
    Einmal waren sie auf der Mississippibrücke bei East Moline ins Schlingern geraten, weil sie einem Bus ausweichen mussten, dem ein Reifen geplatzt war. Sämtliche Wohlgerüche Asiens begleiteten sie bis nach Hause. Die kaputten Gläser mit >Golden Boy<-Fischsauce für das grüne Thaicurry, die überall verteilten Reste der chinesischen Sojasauce und des >Formosa Pork Sungs die vielen gezackten Scherben der Flaschen mit süßer thailändischer Chilisauce der Marke Mae Ploy sowie rote und grüne Chilipasten. Der Laderaum schwamm in Sesamöl und Sojasauce, doch am längsten hielt sich der Geruch der Chili-Knoblauchsauce aus Hongkong. Irgendwie hatte sich das Knoblaucharoma mit den intensiven Essenzen japanischer Bonito-Thunfischstücke und getrockneter chinesischer Garnelen vermengt. Noch wochenlang stieß man überall auf schwarze Shiitakepilze.
    Der Koch und Xiao Dee waren gleich nach Davenport von der I-80 abgefahren; sie wollten die hintere Tür des Lastwagens öffnen, um nach dem Beinahezusammenstoß über dem Mississippi das Ausmaß des Schadens zu inspizieren. Doch ein unbeschreiblicher Gestank hielt sie rechtzeitig davon ab: Etwas Undefinierbares suppte unter der Hintertür des Lastwagens durch.
    »Wonach riecht es?«, hatte Xiao Dee den Koch gefragt. Es war eine bräunliche Flüssigkeit mit Bierschaum darauf - so viel sahen beide.
    »Nach
allem«,
antwortete Tony Angel, kniete sich auf den Asphalt und schnupperte am unteren Türrand.
    Eine Motorradstreife hielt neben ihnen, und der Polizist fragte, ob sie Hilfe brauchten. Kleiner Bruder bewahrte sämtliche Quittungen für ihre Einkäufe im Handschuhfach auf, für den Fall, dass sie angehalten und verdächtigt würden, gestohlene Ware zu befördern. Der Koch erklärte dem Polizisten, wie sie auf der Brücke abrupt dem außer Kontrolle geratenen Bus hatten ausweichen müssen.
    »Wir sollten vielleicht besser weiterfahren und den Schaden erst zu Hause in Iowa City begutachten«, sagte Tony. Der milchgesichtige, glattrasierte Xiao Dee nickte dazu - seinen schwarzen, glänzenden Pferdeschwanz hielt ein rosa Haargummi zusammen, eine kleine Aufmerksamkeit von Spicy oder der anderen Freundin.
    »Das riecht nach Chinarestaurant«, hatte der Polizist zu dem Koch

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