Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
wie ein fast vergessener Hippietischler mit einem toten und einem noch lebenden Hund vielleicht eines Tages herausfinden würde.
    Danny wusste es nicht, doch das war sein letzter Lauf auf der Nebenstraße zwischen Putney und Westminster West. Sie lebten doch in einer Welt voller Unfälle, stimmt's? Vielleicht war es in einer solchen Welt unklug, auf Konfrontationskurs zu gehen.
     
    Die Ehemänner der beiden arbeiteten nicht mehr in dem Fichtenholz-Sägewerk in Milan, sie waren Rentner. Vor ihnen lag eine Welt der Kleinmotorenreparaturen und anderer Bastelarbeiten. Die dicken Frauen der ehemaligen Sägewerksarbeiter - Dot und May, diese alten Zimtzicken - nutzten jede sich bietende Gelegenheit, egal, wie lange sie fahren mussten, um den Ort und ihre lästigen Männer zu verlassen. Rentner waren nervig, wie die beiden alten Frauen erfahren hatten; Dot und May waren sich selbst genug, sie brauchten keine andere Gesellschaft. Jetzt, wo Mays jüngere Kinder (und ihre älteren Enkel)
noch mehr
Kinder in die Welt setzten, war ihre Ausrede meistens, dass sie gebraucht werde, wenn gerade wieder eine Mutter (und irgendein Neugeborenes) aus dem Krankenhaus nach Hause kam. Ganz egal, wo »zu Hause« war, Hauptsache, die zwei kamen aus Milan heraus. Dot saß immer am Steuer.
    Beide waren 68, zwei Jahre älter als Ketchum, den sie gelegentlich zu Gesicht bekamen - Ketchum wohnte in Errol, weiter oben am Androscoggin River. Der alte Holzfäller erkannte Dot oder May nie (nicht dass er sie beachtet hätte, wenn er sie erkannt hätte), doch ihn übersah keiner. Ketchum galt als wilder Bursche, die Narbe auf seiner Stirn zeugte eindrücklich von seiner gewalttätigen Vergangenheit. Doch Dot hatte noch mal knapp dreißig Kilo zugelegt und May weitere 35; sie hatten weiße Haare, die im Norden typischen wettergegerbten Gesichter und futterten den ganzen Tag, so wie das in kalten Gegenden manche Leute machen, als wären sie ständig am Verhungern.
    Sie hatten den Norden New Hampshires auf der Straße nach Groveton durchquert, waren durch Stark gekommen - einen Großteil der Strecke folgten sie dem Ammonoosuc -, und in Lancaster setzten sie über den Connecticut nach Vermont. Knapp unterhalb von St.Johnsbury stießen sie auf die Interstate 91 und folgten ihr dann nach Süden. Ihnen stand eine lange Fahrt bevor, doch sie hatten keine Eile. Mays Tochter oder Enkelin hatte in Springfield, Massachusetts, entbunden. Falls Dot und May rechtzeitig zum Abendessen eintrafen, würden sie sich an der Fütterung etlicher Kleinkinder beteiligen und anschließend saubermachen müssen. Dafür waren die beiden alten Frauen zu schlau - sie beschlossen, unterwegs irgendwo einzukehren. So konnten sie sich zu zweit ein ordentliches Abendessen gönnen und eine ganze Weile nach der Essenszeit in Springfield eintreffen; mit etwas Glück hatte dann schon jemand anders abgewaschen und die Kleinsten zu Bett gebracht.
    Etwa um die Zeit am Nachmittag, als die alten Zimtzicken auf der I-91 an Mclndoe Falls vorbeifuhren, beendeten der Koch und sein Personal im Avellino ihre Mahlzeit. Wenn Tony Angel seinen Mitarbeitern ein gutes Essen vorgesetzt hatte und zusah, wie alle aufräumten und sich auf das Abendessen vorbereiteten, wurde ihm immer ganz wehmütig ums Herz. Dann dachte er an die Jahre in Iowa City in den Siebzigern, an dieses Intermezzo, diese Auszeit von ihrem Leben in Vermont, wie es der Koch und sein Sohn sahen.
    In Iowa City hatte Tony Angel als Sous-Chef in dem chinesischen Restaurant der Brüder Cheng in der First Avenue gearbeitet - die der Koch den »Boulevard von Coralville« nannte. Die Cheng-Brüder hätten vielleicht mehr Umsatz gemacht, wenn sie näher an der Innenstadt gewesen wären. Für Coralville war das Restaurant zu gehoben, man übersah es zwischen all den Fastfood-Schuppen und billigen Motels, doch die Brüder mochten die Nähe zur Interstate, und an den Sportwochenenden, wenn eine der Mannschaften der University of Iowa ein Heimspiel hatte, lockte das Restaurant zahlreiche Auswärtige an. Für die meisten Studenten war es ohnehin zu teuer, es sei denn, ihre Eltern zahlten, aber die Dozenten an der Universität - für die Chengs die eigentliche Zielgruppe - hatten alle Autos und mussten sich daher nicht auf die Bars und Restaurants im Zentrum des Campus, in der Innenstadt, beschränken.
    Tony Angel hielt auch den Namen des Restaurants für eine weitere zweifelhafte Geschäftsidee - politisch desillusionierte Studenten wären vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher