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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gesagt.
    »Es
ist
ein Chinarestaurant«, hatte Tony erwidert.
    Sowohl Kleiner Bruder als auch Tony merkten, dass der Cop die Schweinerei im Wageninneren sehen wollte. Da sie nun einmal angehalten hatten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Tür des Laderaums zu öffnen. Und da war Asien, oder zumindest sämtliche kulinarische Aromen des Erdteils: der Topf Litschis mit Mandelmilchgelee, der schockierend stechende Geruch des überall verteilten frischen Ingwers und die Misoblätter der Firma Mitoku Trading Company - Letztere als eine Art pilziger Belag auf Wänden und Decke des Kühllasters. Außerdem glotzte aus einer übelriechenden Lache von Sojasauce und dunkelbraunem Eis ein schauriger Seeteufel zu ihnen empor - wenn es hoch kam ein Anwärter auf den Titel »hässlichster Fisch der Welt«.
    »Allmächtiger, was ist
das
denn?«, fragte der Motorradpolizist.
    »Ein Seeteufel, der Hummer des kleinen Mannes«, erklärte Xiao Dee.
    »Wie heißt Ihr Restaurant in Iowa City?«, wollte der Cop wissen.
    »Mao's«, antwortete Xiao Dee stolz.
    »Der
Laden!«, rief der Polizist. »Da gibt's doch Sachbeschädigungen aus vorbeifahrenden Autos, oder?«
    »Gelegentlich«, gab der Koch zu.
    »Das liegt am Krieg«, versuchte Xiao Dee zu erklären. »Anscheinend sind die Farmer Falken.«
    »Es liegt am
Namen!«,
entgegnete der Cop. »Mao's - kein Wunder, dass Sie's mit Vandalismus zu tun kriegen. Wir sind hier im Mittleren Westen. Iowa City ist schließlich nicht
Berkeley!«
    Wieder im Lieferwagen, der von nun an ewig wie der Markt von Chinatown an einem üblen Morgen riechen würde - etwa während eines Streiks der Müllabfuhr in Lower Manhattan -, sagte der Koch zu Kleiner Bruder: »Weißt du, der Cop hat nicht ganz unrecht. Was den
Namen
betrifft, meine ich.«
    Xiao Dee putschte sich mit Schoko-Espresso-Kugeln auf, die er bei den Quittungen im Handschuhfach aufbewahrte und pausenlos in sich hineinstopfte, wenn er am Steuer saß - weil er um jeden Preis hellwach bleiben wollte. Wenn der Koch auf der sechzehnstündigen Fahrt mehr als zwei oder drei von den Dingern zu sich nahm, hatte er bis zum nächsten Tag Herzrasen - und seine Eingeweide kündigten schlimmen Durchfall an -, als hätte er zwei Dutzend doppelte Espressi getrunken.
    »Was ist bloß los mit diesem Land? Mao ist doch nur ein
Name!«,
hatte Kleiner Bruder gerufen. »Seit zehn Jahren lässt sich dieses Land in Vietnam die Eier abschneiden! Was hat Mao damit zu tun - das ist doch nur ein
Name!«
Das irritierende Haargummi, das ihm Spicy (oder das andere Mädchen) um den Pferdeschwanz gebunden hatte, hatte sich gelöst; Xiao Dee glich jetzt einer hysterischen Gewichtheberin, die ein komplettes Chinarestaurant durch die Gegend fuhr, ein Restaurant, in dem man garantiert an einer Lebensmittelvergiftung sterben würde.
    »Lass uns einfach heimfahren und den Wagen ausladen«, hatte der Koch vorgeschlagen und gehofft, Xiao Dee dadurch zu beruhigen. Tony Angel bemühte sich, das Bild des durch das Sesamöl schwimmenden Seeteufels zu vergessen und alles andere, was sonst noch im Laderaum des Lastwagens herumschwappte.
    Der Behälter mit Meerwasser war ausgelaufen, sämtliche Muscheln waren ruiniert. An diesem Wochenende würde es keine in Sake gedünsteten Miesmuscheln in schwarzer Bohnensauce geben. Auch keine Austern Rockefeller. (Zu allem Überfluss hatte Ah Gou, als Xiao Dee und der Koch wieder in Iowa City eintrafen, bereits den Spinat gehackt und den Speck gewürfelt, also alles für die Austern Rockefeller vorbereitet.) Der Wolfsbarsch hatte unterwegs das Zeitliche gesegnet, doch der Seeteufel war noch zu gebrauchen - man nahm ohnehin nur die Schwanzflosse, und die servierte Ah Gou in Medaillons geschnitten.
    Der Koch hatte gelernt, beim Entgräten die Frische des schottischen Lachses zu prüfen; Ah Gou sagte, wenn sich die Gräten schwer herausziehen ließen, sei der Fisch noch ziemlich frisch. Die Lap-Xuong-Wurst, die frische Flunder und der gefrorene Tintenfisch hatten den Beinahezusammenstoß mit dem Bus gut überstanden, anders als die Garnelen, die Jakobsmuscheln und die Krabben. Ah Gous Lieblingsmascarpone und der Parmesan waren heil, doch alle anderen Käsesorten mussten weg. Die kleinen Aton-Matten aus Bambus, mit denen man das Sushi rollte, hatten zu viel Sesamöl und Tsingtao-Bier aufgesogen. Noch
monatelang
spritzte Shao Dee den Wagen täglich ab, doch der roch auf ewig nach dem Beinahezusammenstoß über dem Mississippi.
     
    Er hatte die Zeit in Iowa

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