Letzte Nacht in Twisted River
eher auf
Mao 's
angesprungen als ihre Eltern oder die auswärtigen Sportfans -, aber die Brüder Cheng sympathisierten sehr mit der damaligen Anti-Kriegs-Bewegung. Die öffentliche Meinung war umgeschwenkt und nun gegen den Krieg, zumal in einer Universitätsstadt. Zwischen 1972 und 1975 fanden auf dem Campus der University of Iowa vor dem alten Kapitol zahlreiche Demonstrationen statt. Zugegeben, Mao's wäre in Madison oder Ann Arbor vielleicht besser angekommen. Am Boulevard von Coralville schmiss gelegentlich ein vorbeifahrender Patriot aus seinem rasch davonfahrenden Auto oder Pick-up einen Stein oder einen Backstein durch das Fenster des Restaurants.
»Ein kriegerischer Farmer«, sagte dann Ah Gou Cheng abfällig. Er war der ältere Bruder. Im Schanghaier Dialekt bedeutete Ah Gou »Großer Bruder«.
Er war ein phantastischer Küchenchef; seine Ausbildung hatte er im Culinary Institute of America gemacht, und er hatte von Jugend an in chinesischen Restaurants gearbeitet. Er war in Queens geboren und erst nach Long Island und von dort nach Manhattan umgezogen. Eine Frau, die er in einem Karatekurs kennengelernt hatte, hatte Ah Gou nach Iowa gelockt, ihn dort aber verlassen. Da war Ah Gou bereits überzeugt, dass das Mao's es in Iowa City schaffen könnte.
Ah Gou war gerade alt genug, um den Vietnamkrieg zu verpassen, aber nicht den Militärdienst; er war Armeekoch in Alaska gewesen. (»Vom Fisch abgesehen, gibt's da keine einheimischen Zutaten«, hatte er Tony Angel erzählt.) Ah Gou trug einen Fu-Manchu-Bart und einen schwarzen Pferdeschwanz mit einer orangefarbenen Strähne darin.
Ah Gou hatte seinen jüngeren Bruder genau instruiert, wie er um den Vietnamkrieg herumkäme. Zunächst einmal hatte der kleine Bruder nicht gewartet, bis er eingezogen wurde, sondern sich freiwillig gemeldet. »Sag einfach nur, du tötest keine anderen Asiaten«, hatte ihm Ah Gou eingeschärft. »Ansonsten gib dich betont kämpferisch.«
Der jüngere Bruder hatte gesagt, er würde jedes Fahrzeug fahren, überall, und für jeden kochen. (»Zeigt mir, wo's in die Schlacht geht! Ich fahre in einen Hinterhalt, ich koche während eines Granatwerferangriffs! Ich bringe nur keine anderen Asiaten um.«)
Natürlich war es riskant - das Militär hätte ihn trotzdem nehmen können. Von den guten Instruktionen mal abgesehen, dachte Tony Angel, hätte sich der jüngere Cheng-Bruder gar nicht verrückt stellen müssen - er war tatsächlich nicht ganz dicht. Dass er seinen kleinen Bruder vor dem Vietnamkrieg gerettet hatte - und davor, andere Asiaten zu töten oder von ihnen getötet zu werden -, war für Ah Gou ein heikles Thema.
Bei Mao's gab es klassische französische Küche oder eine Mischung asiatischer Kochstile, aber Ah Gou trennte die asiatischen und die französischen Zutaten - mit einigen Ausnahmen. Bei Mao's wurden die Austern Rockefeiler mit Panko bestreut, japanischen Brotkrumen, und bei der Mayonnaise für seine Krabbenküchlein verwendete Ah Gou Traubenkernöl und Schalotten. (Das Krabbenfleisch wendete man in etwas gehacktem Estragon und in den japanischen Brotkrumen; anders als gewöhnliches Paniermehl wurde Panko im Kühlschrank nicht matschig.)
Das Problem war - sie befanden sich in
Iowa.
Wo sollte Ah Gou hier Panko herbekommen, von Austern, Traubenkernöl und Krabben ganz zu schweigen? Da kam sein verrückter jüngerer Bruder ins Spiel. Er war der geborene Fahrer.
Xiao Dee
bedeutete im Shanghaier Dialekt »Kleiner Bruder«, und
Xiao
sprach man wie
Shao
aus. Einmal in der Woche fuhr Xiao Dee den Kühllaster der Gebrüder Cheng - samt zweier riesiger Gefrierschränke - nach Lower Manhattan und zurück. Tony Angel begleitete ihn auf diesen aufreibenden Touren. Es dauerte 16 Stunden von Iowa City nach Chinatown, zu den Märkten in der Pell und der Mott Street, wo der Koch und Xiao Dee einkauften.
Eine Frau aus einem Karatekurs hatte Ah Gou nach Iowa gelockt, bei Xiao Dee hingegen waren es gleich
zwei
Frauen, die ihn in New York und Umgebung um den Verstand brachten - eine in Rego Park, die andere in Bethpage. Im Grunde war es dem Koch egal, mit welcher Frau Kleiner Bruder etwas hatte. Tony Angel sehnte sich nach dem North End, und er mochte auch die kleine chinesische Gemeinschaft in Queens und auf Long Island; die Leute dort waren freundlich zu ihm und herzlich zueinander. (Dem Koch persönlich gefiel die Rego-Park-Freundin, die Spicy hieß, besser als die junge Frau aus Bethpage, deren Namen er sich weder merken noch
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