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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hätten, auf der Speisekarte des Avellino ihren offenkundigen guten Einfluss zu entdecken, und gewiss hätten sie den Koch in seinem Stolz auf sein eigenes Restaurant bestärkt, das - wenn auch nur in Brattleboro - einen guten Ruf hatte. Da sich Molinari und Polcari zur Ruhe gesetzt hatten, hätten sie ihn nach Belieben in Vermont besuchen können; den Brüdern Cheng wäre es vermutlich schwerer gefallen, sich die Zeit zu nehmen.
    Ah Gou und Xiao Dee waren wieder in den Osten gezogen, und zwar auf den klugen Rat der jungen chinesischen Anwältin Tzu-Min hin, die den Großen Bruder geheiratet hatte - sie hatte ihm solide geschäftliche Ratschläge erteilt und war nie nach Taiwan zurückgekehrt. Connecticut lag näher an Lower Manhattan, wo Kleiner Bruder einkaufen musste. Es ergab keinen Sinn, wenn die Chengs sich totfuhren, nur weil sie in Iowa authentische chinesische Küche anbieten wollten. Anfangs hieß ihr neues Restaurant Baozi, chinesisch für »verpackt« oder »umwickelt«. (Der Koch musste an die goldgelben, mit Schweinefleisch gefüllten Frühlingsrollen und an die
baozi
denken, die Ah Gou immer am chinesischen Neujahrsfest machte: Die gedämpften Teigbälle wurden wie ein Sandwich aufgeschnitten und mit zerkleinerter, geschmorter Schweineschulter gefüllt, vermischt mit chinesischem 5-Gewürze-Pulver.) Aber Tzu-Min war die Geschäftsfrau der Familie Cheng; sie änderte den Namen des Restaurants in Lemongrass, was in Connecticut sowohl marktgängiger als auch verständlicher war.
    Eines Tages, dachte Tony Angel, fahren Daniel und ich vielleicht runter nach Connecticut und essen im Lemongrass; anschließend könnten wir irgendwo in der Gegend übernachten. Dem Koch fehlten Ah Gou und Xiao Dee, und er wünschte ihnen alles Gute.
    »Was ist los, Tony?«, fragte Celeste. (Der Koch weinte, ohne es zu merken.)
    »Nichts ist los, Celeste. Ich bin sogar sehr glücklich«, antwortete Tony. Er lächelte sie an, beugte sich über die Rotweinreduktion und schnupperte genießerisch. Er hatte einen frischen Rosmarinzweig in kochendem Wasser blanchiert, um dem Rosmarin das Öl zu entziehen, ehe er ihn in den Rotwein gab.
    »Tja, aber du
weinst«,
stellte Celeste fest.
    »Erinnerungen, nehme ich an«, sagte der Koch. Auch Greg, der Sous-Chef, beobachtete ihn. Loretta kam aus dem Speiseraum in die Küche.
    »Schließen wir den Laden heute Abend auf, oder sollen die Gäste zusehen, wie sie einbrechen können?«, fragte sie den Koch.
    »Oh, ist es schon Zeit?«, fragte Tony Angel zurück. Offenbar hatte er seine Uhr oben im Schlafzimmer vergessen, wo die noch nicht zu Ende gelesenen Fahnen von
Jenseits von Bangor
lagen.
    »Weshalb weint er?«, wollte Loretta von ihrer Mutter wissen. »Das habe ich ihn auch gerade gefragt«, sagte Celeste. »Erinnerungen, nehme ich an.«
    »Gute,
oder?«, fragte Loretta den Koch; sie nahm ein sauberes Geschirrtuch aus dem Regal und tupfte ihm die Wangen trocken. Sogar der Tellerwäscher und der Hilfskellner, zwei Kids von der Highschool in Brattleboro, musterten Tony Angel besorgt.
    Der Koch und sein Sous-Chef hielten sich nicht sklavisch an ihre Posten, obwohl Greg normalerweise grillte, röstete und briet und Tony sich um die Saucen kümmerte.
    »Soll ich heute Abend Saucier sein, Chef?«, fragte Greg den Koch.
    »Es geht schon«, sagte Tony in die Runde und schüttelte den Kopf. »Werdet ihr denn nie von Erinnerungen heimgesucht?«
    »Danny hat angerufen - hab ich ganz vergessen«, teilte Loretta dem Koch mit. »Er kommt heute Abend vorbei.«
    »Stimmt, Danny klang, als hätte er einen aufregenden Tag hinter sich - für einen Schriftsteller«, sagte Celeste zu Tony. »Er ist von zwei Hunden angegriffen worden. Rooster hat den einen getötet. Er wollte zur üblichen Zeit einen Tisch reservieren, aber nur für eine Person. Er meinte, Barrett hätte für die Hundegeschichte kein Verständnis. Er sagte: >Richte Paps aus, ich sehe ihn später.««
    Der »Paps« stammte noch aus Iowa City - dem Koch gefiel das.
    Barrett war eigentlich aus England. Obwohl sie seit Jahren in den usa lebte, hatte Tony Angel den Eindruck, dass ihr englischer Akzent immer ausgeprägter wurde. Die Menschen in Amerika waren von englischem Akzent übermäßig beeindruckt, dachte der Koch. Vielleicht gab ein englischer Akzent vielen Amerikanern das Gefühl, ungebildet zu sein.
    Tony wusste, was sein Sohn mit dem Satz meinte, Barrett hätte für die Hundegeschichte kein Verständnis. Obwohl Danny beim Laufen mehrmals von

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