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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aus der Nachbarschaft, hatte Yi-Yiing als Erster Pyjama-Lady genannt. (Der Achtjährige konnte sich Yi-Yiings Namen nicht merken.)
    Danny spülte sein und Joes Frühstücksgeschirr, während Joe draußen mit Max spielte. Die beiden fuhren wieder in der Gasse hinter dem Haus Rad. Sie hatten ein paar Äpfel aus der Kiste auf der Veranda herausgenommen, aber nicht, um sie zu essen. Die Jungs benutzten die Äpfel als Slalomtore, wie Danny später erfuhr. Er mochte Max, aber der Knabe fuhr mit dem Rad in der ganzen Stadt herum; da Joe das nicht durfte, kam es zu Spannungen zwischen ihm und Danny.
    Max war ein leidenschaftlicher Sammler von Plakaten, Aufklebern und Aufnähern mit Bierwerbung. Dutzende davon hatte er Joe geschenkt, und Joe hatte Yi-Yiing überredet, diverse Biermarkenlogos auf seine Jeansjacke zu nähen; die Sticker klebte Joe auf den Kühlschrank, und die Poster hängte er in seinem Zimmer auf. Es war irgendwie komisch, fand Danny, und absolut harmlos, schließlich
tranken
die Achtjährigen ja kein Bier.
    Von dem Auto blieb Danny vor allem das plötzliche Reifenquietschen in Erinnerung; er sah nur einen verschwommenen blauen Schatten hinter dem Küchenfenster vorbeiflitzen. Der Schriftsteller rannte auf die Veranda, von der er bisher gedacht hatte, dort wäre die einzige Gefahr für seinen Sohn ein Opossum. »Joe!«, schrie Danny, hörte aber keine Antwort - nur den Lärm, als der blaue Wagen am anderen Ende der Gasse ein paar Mülleimer umfuhr.
    »Mr. Angel!«, hörte Danny Max rufen. Der Junge stieg fast nie von seinem Rad, doch diesmal sah Danny ihn laufen.
    Etliche der als Slalomtore zweckentfremdeten Äpfel lagen zerquetscht in der Gasse. Danny sah die Räder der beiden Jungs auf dem Boden liegen, abseits der Fahrbahn; Joe lag in Embryonalstellung zusammengekrümmt neben seinem Rad.
    Danny erkannte, dass Joe bei Bewusstsein und offenbar mehr erschrocken als verletzt war. »Hat er dich angefahren? Hat der Wagen dich
angefahren?«,
fragte er seinen Sohn. Dieser schüttelte rasch den Kopf, bewegte sich aber nicht weiter, sondern blieb einfach fest zusammengerollt liegen.
    »Wir sind gestürzt, als wir dem Mustang ausweichen wollten - er kam direkt auf uns zu«, sagte Max zu Danny. »Es war der blaue Mustang, der fährt immer zu schnell. Das muss eine Speziallackierung sein, es ist so ein komisches Blau.«
    »Du hast das Auto schon mal gesehen?«, fragte Danny. (Max kannte sich offensichtlich mit Autos aus.)
    »Schon, aber nicht hier, nicht in der Gasse«, sagte der Junge.
    »Hol die Pyjama-Lady, Max«, befahl Danny. »Du findest sie schon. Sie ist oben, bei meinem Paps.« Danny hatte seinen Dad noch nie »Paps« genannt; dass er das Wort nun verwendete, hing wohl mit dem Schock dieses Erlebnisses zusammen. Er kniete neben Joe und traute sich fast nicht, ihn zu berühren. Der Junge bibberte. Er glich einem Fötus, der unbedingt wieder in den Mutterleib zurückwollte, dachte der Schriftsteller. »Joe? Tut dir irgendwas weh? Ist etwas gebrochen? Kannst du dich
bewegen?«
    »Den Fahrer konnte ich nicht sehen. Es war nur ein Auto«, sagte Joe, der sich, von dem Zittern abgesehen, immer noch nicht bewegte. Wahrscheinlich hatte die Windschutzscheibe das Sonnenlicht reflektiert, dachte Danny.
    »Bestimmt irgendein Jugendlicher«, sagte Danny.
    »Es gab keinen Fahrer«, bekräftigte Joe. Später würde Max behaupten, den Fahrer
nie
gesehen zu haben, obwohl er den blauen Mustang schon ein paarmal durch die Gegend hatte rasen sehen.
    »Pyjama-Lady!«, hörte Danny Max rufen. »Paps!«
    Der Koch hatte sich neben der schlaftrunkenen Yi-Yiing im Bett aufgesetzt. »Was meinst du, wer >Paps< ist?«, fragte er sie.
    »Vermutlich bin ich die Pyjama-Lady«, antwortete Yi-Yiing mit schläfriger Stimme. »Dann musst
du
Paps sein.«
    Als Yi-Yiing und der Koch erfuhren, dass Joe vom Rad gefallen war und ein Auto etwas damit zu tun hatte, gab es eine ziemliche Aufregung. Bestimmt würde Max nie vergessen, wie rasch die Pyjama-Lady barfuß zu der Unfallstelle gelaufen war, wo Joe mittlerweile saß und in den Armen seines Vaters hin- und herschaukelte. Der Koch brauchte wegen seines Hinkens länger; unterdessen hatte Youn die Arbeit an ihrem Roman unterbrochen, um zu sehen, was los war.
    Die elegant gekleidete Dame vom anderen Ende der Gasse - deren Mülleimer der davonrasende blaue Mustang umgefahren hatte - näherte sich ängstlich. Sie war schon älter und gebrechlich, wollte aber nachsehen, ob die radfahrenden Jungs wohlauf

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