Letzte Nacht in Twisted River
»Entweder war es eine Zwangsheirat oder nicht, stimmt's?«, hatte er zu Youn gesagt.
Ihre Haut war weiß wie Milch. Die schwarzen Haare trug sie kurz, dazu einen Pony, unter dem sie mit ihren großen dunkelbraunen Augen wie ein zartes Waisenkind aussah, obwohl Youn über dreißig war - genauso alt wie Danny. Ihre Bemühungen, ihren Nochehemann dazu zu bewegen, sich von ihr scheiden zu lassen (wenn sie sich selbst von ihm hätte scheiden lassen, hätte sie sich »endlosem koreanischem Behördenkram« aussetzen müssen), sorgten in ihrem noch unvollendeten Roman für eine immer verworrenere Handlung.
Sofern man ihrer Lebensgeschichte oder ihrem Roman überhaupt Glauben schenken konnte, hatte der Schriftsteller Danny Angel gedacht. Als er sie kennengelernt und die ersten Kapitel gelesen hatte, wusste Danny nicht recht, ob er ihr trauen konnte - als Frau oder als Schriftstellerin. Doch er
mochte
sie, von Anfang an, und sein aufkeimendes Interesse an Youn hatte wenigstens seine unschicklichen Phantasien reduziert, die sich um die Freundin seines Vaters und ihre zahllosen Pyjamas drehten.
»Tja«, hatte der Koch zu seinem Sohn gesagt, nachdem Danny ihm Youn vorgestellt hatte, »wenn es in diesem Haus schon eine chinesische Krankenschwester und zwei junge Japanerinnen gibt, warum nicht auch eine koreanische Schriftstellerin?«
Doch sie alle verheimlichten etwas, oder etwa nicht? Der Koch und sein Sohn jedenfalls behielten für sich, dass sie auf der Flucht waren. Bei der chinesischen Krankenschwester seines Dads hatte Danny den Eindruck, dass sie irgendetwas verschwieg. Und von seiner koreanischen Schriftstellerin wusste Danny, dass sie mit Bedacht vieles im Unklaren ließ - und zwar nicht nur in ihrer Prosa.
An den japanischen Babysitterinnen gab es nichts auszusetzen. Sie waren dem kleinen Joe von Herzen zugetan, und mit dem Koch verband sie, durch die gemeinsame Arbeit in dem anspruchsvollen Chaos aus asiatischer und französischer Küche im Mao's, eine herzliche Kameradschaft.
Nicht dass Yi-Yiings ausgeprägtes Interesse an Joe gespielt gewesen wäre - die Krankenschwester war wirklich eine gute Seele. Aber ihre Beziehung mit dem Koch war eine Art Kompromiss, vielleicht für beide.
Tony Angel ließ sich schon lange nicht mehr ernsthaft auf Frauen ein, doch gleichzeitig ließ er nichts anbrennen; eigentlich hätte Yi-Yiing Tonys kurze Romanzen mit den durchreisenden Frauen, die er auf den Partys des Autorenworkshops kennenlernte, nicht akzeptieren dürfen, doch selbst das nahm die Krankenschwester hin. Yi-Yiing wohnte gern mit einem Jungen unter einem Dach, der so alt wie ihre abwesende Tochter war; sie war froh, für
irgendwen
die Mutter zu spielen. Den Männerhaushalt des Kochs empfand Yi-Yiing vielleicht auch als unkonventionell, als Abenteuer - das sie wohl hinter sich lassen müsste, wenn ihre Tochter und ihre Eltern endlich zu ihr nach Amerika kamen.
Den forschen jungen Ärzten im Mercy Hospital, die sich nach ihrer
Situation
erkundigten - War sie verheiratet? Hatte sie einen festen Freund? -, antwortete Yi-Yiing zu deren Überraschung immer: »Ich lebe mit dem Schriftsteller Danny Angel zusammen.« Offenbar gefiel ihr diese Antwort, und zwar nicht bloß, weil man sie anschließend in Ruhe ließ, denn nur gegenüber ihren engeren Freundinnen und Bekannten ergänzte Yi-Yiing: »Also, in Wirklichkeit bin ich mit Dannys
Vater
zusammen. Er ist Koch im Mao's - nicht der chinesische.« Doch der Koch begriff, dass Yi-Yiing es nicht leicht hatte - eine Frau von Anfang dreißig, die weit weg von ihrer Heimat ein unbeständiges Leben führte und eine Tochter hatte, die sie nur von Fotos kannte.
Jemand, der im Mercy Hospital arbeitete, sagte einmal auf einer Fete zu Danny: »Oh, ich kenne Ihre Freundin.«
»Welche
Freundin?«, hatte Danny gefragt; das war, bevor Youn in seinem Literaturworkshop auftauchte und (bald darauf) in das Haus an der Court Street zog.
»Yi-Yiing - sie ist Chinesin, Krankenschwester im -«
»Das ist die Freundin meines
Dads«,
sagte der Schriftsteller rasch.
»Ach...«
»Was ist nur mit Yi-Yiing los?«, hatte Danny später seinen Vater gefragt. »Offenbar denken manche Leute, sie sei mit
mir
zusammen.«
»Ich stelle Yi-Yiing keine Fragen, Daniel, und sie stellt mir keine«, bemerkte der Koch. »Und kann sie nicht phantastisch mit Joe umgehen?« Beide wussten sehr gut, dass Danny damals in Vermont genau dieses Argument ins Feld geführt hatte, als es um Franky ging, seine ehemalige
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