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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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drängten.
    »Ja, das graue.« Danny drehte dem Haus den Rücken zu und blickte auf die Avenue. Ihm fiel auf, dass man in den sechs Jahren seit seinem Auszug die Bepflanzung des Mittelstreifens aufgehübscht hatte.
    »Opa hat gesagt, du magst die Iowa Avenue nicht - dass du nicht mal darauf fahren willst«, sagte Joe zu seinem Dad.
    »Das stimmt, Joe.« Sie standen dicht beieinander und betrachteten einfach nur den Verkehr.
    »Was ist los? Hab ich Hausarrest?«, fragte der Junge.
    »Nein, du hast keinen Hausarrest - du bist schon tot«, antwortete sein Vater. Danny wies auf die Straße. »Da draußen bist du gestorben, auf der Straße, und zwar im Frühjahr 1967. Du hattest noch Windeln an - du warst erst zwei.«
    »Hat mich ein Auto überfahren?«, fragte Joe.
    »Viel hat nicht gefehlt«, sagte sein Vater. »Aber wenn dich wirklich ein Auto überfahren hätte, dann wäre ich auch gestorben.«
    Eine Fahrerin auf der Fahrbahn stadtauswärts sah sie auf der anderen Seite der Iowa Avenue stehen - Yi-Yiing, die gerade aus dem Mercy Hospital nach Hause in die Court Street unterwegs war. In Richtung Innenstadt fuhr einer von Dannys Kollegen aus dem Autorenworkshop, der Dichter Marvin Bell, an ihnen vorbei und hupte, doch weder Vater noch Sohn reagierten.
    Vielleicht standen Danny und Joe gar nicht auf dem Gehweg, mit Blick auf den Verkehr; vielleicht befanden sie sich wieder im Frühjahr 1967. Zumindest der Schriftsteller Daniel Baciagalupo, der sich noch kein Pseudonym ausgesucht hatte, war wieder dort. Danny hatte oft das Gefühl, dass er aus diesem Moment eigentlich nie richtig herausgekommen war.
     
    Im Avellino brachte Loretta dem Schriftsteller seine Überraschungsvorspeise. In der Kategorie »Etwas Asiatisches« hatte der Koch seinem Sohn Ah Gous Rindfleischsatay zubereitet, gegrillte Fleischspieße mit Erdnusssauce. Es gab auch diverse Tempura-Garnelen, grüne Bohnen und Spargel. Loretta brachte Danny auch Essstäbchen, zögerte aber, ehe sie sie ihm gab. »Benutzt du so was? Ich hab's vergessen«, sagte sie. (Der Schriftsteller wusste, dass sie log.)
    »Klar«, antwortete er ihr.
    Loretta rückte die Stäbchen immer noch nicht heraus. »Weißt du, was? Du bist zu viel allein«, erklärte sie.
    »Stimmt, ich
bin
zu viel allein«, sagte Danny. Sie flirteten miteinander, aber weiter gingen sie nie; allein die Vorstellung, miteinander zu schlafen, wo auch Lorettas Mom und Dannys Dad miteinander schliefen, war für beide schlicht unerträglich.
    Wenn Danny mit dem Gedanken spielte, stellte er sich jedes Mal vor, wie Loretta sagte: »Das wäre zu sehr, als hätten Bruder und Schwester was miteinander oder so!«
    »Was schreibst du da?«, wollte Loretta wissen; solange sie die Stäbchen hielt, würde er sie weiter ansehen, dachte sie.
    391
    »Nur so ein Gespräch«, antwortete Danny. »So wie unseres gerade?«
    »Nein, es ist... anders«, sagte er. Loretta merkte, dass er mit den Gedanken nicht bei der Sache war; sie gab ihm die Stäbchen. Das Notizbuch lag offen auf dem Tisch, und Loretta hätte das Gespräch lesen können, an dem Danny gerade schrieb, doch er schien nervös zu sein deswegen, und sie wollte lieber nicht aufdringlich sein.
    »Tja, hoffentlich magst du die Überraschung«, sagte sie zu ihm.
    Der Koch wusste, dass Danny diese Speise immer im Mao's bestellt hatte - bestimmt hundertmal. »Richte Dad aus, es ist genau das Richtige«, sagte Danny, als Loretta ging.
    Danny warf einen Blick auf den Satz in seinem Notizbuch. Die Formulierung sollte
echt
klingen, so wie ein Achtjähriger eine Frage an seinen Vater richten würde, ganz vorsichtig. (»Warum wärst du auch gestorben - wenn mich wirklich ein Auto überfahren hätte?«, hatte der Schriftsteller geschrieben.)
    Dot und May, die immer noch auf ihre Pizzas warteten, hatten Danny und Loretta nicht aus den Augen gelassen. Es machte sie richtig fertig, dass sie
deren
Gespräch nicht mitgehört hatten. »Die Kellnerin will ihn ficken, es gibt aber ein Problem«, meinte Dot.
    »Stimmt, er interessiert sich mehr für sein
Geschreibsel!«,
sagte May.
    »Was isst er da?«, fragte Dot ihre alte Freundin.
    »Irgendwas an 'nem Spieß«, antwortete May. »Sieht nicht besonders
appetitlich
aus.«
    »Ich hab das dumpfe Gefühl, unsere Pizzas werden 'ne echte Enttäuschung.«
    »Tja, das würd mich gar nicht überraschen«, sagte May.
    »Ich fasse es nicht!«, flüsterte Dot. »Vor ihm steht Essen, und er hört
immer noch
nicht auf zu schreiben!«
    Doch das Essen war

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