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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sie unbedingt zu dem Grillfest gehen wollte, hatte sie sich nicht beschwert - bis jetzt. »Findest du nicht, es wird langsam Zeit, dass der Zweijährige aufs Töpfchen geht?«, sagte sie zu Danny und reichte ihm eine saubere Windel. Katie nannte Joe immer
den Zweijährigen,
was eindeutig abwertend gemeint war.
    In dem Bad im Erdgeschoss des Farmhauses gab es keinen Vorhang vor der Duschkabine, und der Fußboden war nass. Vater und Sohn wuschen sich in dem schmierigen Waschbecken die Hände, doch der Versuch, ein Handtuch zu finden, war ebenso vergeblich wie Dannys Suche nach einem Bier. »Wir können uns die Hände trocken
winken
«, schlug Danny dem Jungen vor, worauf dieser seinem Vater zuwinkte, als wolle er sich verabschieden - das übliche Einhandwinken.
    »Probier mal, mit
beiden
Händen zu winken, Joe.«
    »Guck mal -
Mommyl«,
rief der Junge und zeigte auf die Fotos hinter seinem Vater. Über dem leeren Handtuchregal waren ein schwarzweißer Kontaktabzug und ein halbes Dutzend Vergrößerungen mit Reißzwecken an die Wand gepinnt. Katie war nackt und hielt die Hände vor ihre kleinen Brüste, doch ihre Scham war unverhüllt; es wirkte, als seien die Hände am falschen Ort. Offenbar hatte sich jemand etwas dabei gedacht - es sollte ein wohlüberlegtes Statement sein, aber zu was?, fragte sich Danny. Und war es Katies Idee gewesen oder die des Fotografen, der Rolf hieß und einer der Bärtigen war?
    »Ja, die Frau sieht Mommy sehr ähnlich«, sagte Danny, doch seine Taktik ging nicht auf. Stirnrunzelnd sah sich Joe die Fotos nun genauer an.
    »Das
ist
Mommy«, stellte der Junge fest.
    »Glaubst du?«, fragte Danny, der seinen Sohn am Händchen genommen hatte und ihn aus dem verdreckten Badezimmer ziehen wollte.
    »Ja, das
ist
Mommy«, antwortete Joe ernst.
    Danny goss sich ein Glas Rotwein ein; mangels Weingläsern nahm er ein Milchglas. Plastikbecher gab es auch keine. In einem der Küchenschränke fand er eine Kaffeetasse, die halbwegs stabil aussah - wenn auch nicht ganz kindersicher -, und gab Joe ein wenig Ginger Ale. Milch aus diesem Kühlschrank, falls welche da gewesen wäre, hätte er Joe nicht geben wollen, und das Ginger Ale war das einzige vorhandene Getränk, das das Kind eventuell mochte.
    Die Party fand draußen auf dem Rasen statt, neben dem Schweinepferch. Da es bereits später Nachmittag oder früher Abend war, nahm Danny an, dass der Farmer seine Schweine an diesem Tag bereits gefüttert hatte und wieder weggefahren war. Wenigstens die Schweine wirkten zufrieden und musterten die zweibeinigen Partygäste mit fast menschlicher Neugier; sie bekamen wohl nicht oft so viele Künstler zu Gesicht.
    Danny fiel auf, dass keine anderen Kinder auf der Party waren, auch kaum Ehepaare. »Sind irgendwelche Dozenten da?«, fragte er Katie, die schon wieder ein volles Weinglas hatte. Er wusste, dass Katie gehofft hatte, Roger würde kommen. Roger war der Dozent, mit dem Katie zurzeit schlief und der die Fortgeschrittenenkurse im Aktzeichnen gab. Als Katie Danny ein paar Tage später eröffnete, dass sie ihn verlassen wollte, lief die Affäre mit Roger immer noch.
    »Ich dachte, Roger käme auch, aber er ist nicht hier«, stellte Katie enttäuscht fest. Sie stand neben Rolf, und Danny merkte plötzlich, dass der Satz nicht ihm, sondern dem bärtigen Fotografen galt. Roger hatte auch einen Bart, erinnerte sich Danny. Er wusste, dass Katie mit Roger schlief, doch erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass sie womöglich auch mit Rolf schlief. Vielleicht machte sie gerade eine Bartphase durch, überlegte der Schriftsteller, während er sich gleichzeitig fragte, wie und wo die beiden die Fotos
arrangiert
hatten.
    »Hübsche Fotos«, sagte Danny zu Rolf.
    »Ach, du hast sie gesehen«, gab Rolf beiläufig zurück.
    »Du hängst ja überall«, sagte Danny zu Katie, die dafür wieder nur ein Achselzucken übrighatte.
    »Hast du deine Mom gesehen?«, wollte Rolf von Joe wissen und beugte sich dabei zu dem Kind hinunter, als wäre es schwerhörig.
    »Er redet noch fast gar nicht«, behauptete Katie, was schlicht gelogen war. Für einen Zweijährigen redete Joe ausgesprochen viel, bei Einzelkindern keine Seltenheit. Es mochte aber auch daran liegen, dass Danny, vielleicht weil er Schriftsteller war, andauernd mit dem Jungen sprach.
    »Mommy ist doch hier«, sagte der Junge und zeigte auf Katie.
    »Nein, ich meine die Bilder«, erklärte ihm Rolf. »Sie sind im Badezimmer.«
    »Das
ist Mommy«, beharrte Joe und zeigte wieder

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