Letzte Nacht in Twisted River
verhalten.
»Wenn du getrunken hast, fahre ich sowieso nicht mit dir dahin«, sagte der Koch gerade.
»Du hattest getrunken, als ich dich dahin gebracht habe«, sagte Ketchum. Um nicht mehr zu sagen, stopfte er sich den Mund mit Hackbraten und Apfelmus voll.
»Wenn eine Leiche nicht unter einem Holzstau hängt, treibt sie langsamer flussabwärts als ein Baumstamm«, sagte Dominic, als spräche er mit der Kaffeekanne statt mit Ketchum, der ihm den Rücken zuwandte. »Es sei denn, die Leiche klemmt unter einem Stamm fest.«
Danny hatte diese Erklärung bereits in anderem Zusammenhang gehört. Die Leiche seiner Mutter hatte für die Reise von dem Flussbecken bis zur Flussenge mehrere Tage gebraucht (drei, um genau zu sein). Dort war sie wieder aufgetaucht und gegen den Damm getrieben worden. Zuerst sinkt die Leiche eines Ertrunkenen, hatte der Koch seinem Sohn erklärt, dann steigt sie wieder auf.
»Am Wochenende lassen sie alle Dämme geschlossen«, sagte Ketchum. Der Flößer aß gleichmäßig, aber nicht schnell, weil er die Gabel ungewohnterweise in der linken Hand halten musste.
»Schmeckt gut mit Apfelmus, stimmt's?«, fragte ihn der Junge. Ketchum nickte zustimmend und kaute energisch.
Es duftete nach aufgebrühtem Kaffee, und der Koch sagte, mehr zu sich selbst als zu seinem Sohn oder Ketchum: »Wenn ich schon mal dabei bin, kann ich genauso gut mit dem Schinkenspeck anfangen.« Ketchum aß einfach weiter. »Vermutlich sind die Stämme schon am ersten Staudamm«, fuhr Dominic fort, als führte er immer noch ein Selbstgespräch. »Ich meine
unsere
Stämme.«
»Ich weiß, welche Stämme und welchen Damm du meinst«, brummte Ketchum. »Ja, die Stämme sind schon am Damm - sie sind da angekommen, als du Abendessen gemacht hast.«
»Du warst also bei diesem trotteligen Arzt?«, fragte der Koch. »Man muss zwar kein Genie sein, um ein gebrochenes Handgelenk zu gipsen, aber wenn du zu diesem Arzt gehst, musst du zumindest ein risikofreudiger Mensch sein.« Dominic trat aus dem Kochhaus, um den Schinkenspeck aus der Kühlbox zu holen. Draußen war es stockfinster, und das Rauschen des Flusses drang in die warme Küche.
»Früher warst du auch risikofreudiger, Cookie!«, rief Ketchum seinem alten Freund hinterher. Er sah Danny aufmerksam an. »Früher war dein Dad glücklicher - als er noch getrunken hat.«
»Ich war glücklicher, Punkt«, sagte der Koch und knallte den Speck auf das Schneidbrett. Danny fuhr herum, doch Ketchum sah nicht von seinem Hackbraten mit Apfelmus auf.
»Wenn man bedenkt, dass Leichen langsamer flussabwärts treiben als Baumstämme«, sagte Ketchum betont langsam und mit leicht belegter Stimme, »was wäre nach deiner Schätzung die genaue Ankunftszeit Angels an der Stelle, an die ich mich nicht mehr erinnere?«
Danny zählte im Stillen vor sich hin, doch ihm und Ketchum war klar, dass der Koch Angels Reisedauer schon geschätzt hatte. »Samstagnacht oder Sonntagmorgen«, antwortete Dominic Baciagalupo. Er musste lauter reden, um das Zischen des Specks zu übertönen. »Nachts gehe ich da nicht mit dir hin, Ketchum.«
Dannys Blick huschte zu Ketchum, denn der Junge ahnte, was der stämmige Mann antworten würde; schließlich ging es dabei um die Geschichte, die ihn am meisten interessierte und ihm besonders am Herzen lag. »Aber ich bin mit
dir
nachts da gewesen, Cookie.«
»Die Chancen stehen besser, dass du Sonntagmorgen nüchtern bist«, sagte der Koch zu Ketchum. »Sonntagmorgen um neun - Daniel und ich treffen dich da.« (Sie meinten den Dead-Woman-Damm, doch der Junge wusste, dass keiner von beiden den Namen aussprechen würde.)
»Wir können alle in meinem Truck fahren«, schlug Ketchum vor.
»Ich nehme Daniel in meinem Wagen mit, für den Fall, dass du nicht ganz nüchtern bist«, erwiderte Dominic.
Ketchum schob seinen leeren Teller weg. Dann legte er den struppigen Kopf zum Ausruhen auf die Anrichte und betrachtete seinen Gips. »Heißt das, wir treffen uns am Sägewerkteich?«, fragte Ketchum.
»So nenne ich ihn nicht. Der Damm war vor dem Werk da. Wie können sie Teich dazu sagen, wenn an der Stelle der Fluss
schmaler
wird?«
»Du kennst doch Sägewerksarbeiter«, sagte Ketchum verächtlich.
»Der Damm war vor dem Werk da«, wiederholte Dominic, ohne den Damm beim Namen zu nennen.
»Eines Tages wird das Wasser den Damm durchbrechen, und dann werden sie einfach keinen neuen bauen«, meinte Ketchum. Ihm fielen die Augen zu.
»Eines Tages werden sie kein Holz mehr
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