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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Danny?«, fragte Jimmy. »Ist ein bisschen laut, nicht? Ich finde, du solltest sie leiser stellen.«
    »Ich hab sie nicht
angemacht,
Jimmy«, sagte Danny. »Ich habe weder das Licht
noch
die Musik angemacht.«
    »Wer ist in deinem Haus?«, fragte der Polizist.
    »Keine Ahnung«, erklärte Danny. »Ich habe niemanden eingeladen.«
    »Vielleicht waren sie da und sind wieder weg - soll ich mal nachsehen?«, fragte ihn Jimmy.
    »Ich komme mit«, antwortete Danny.
    »Hast du in letzter Zeit Post von einem durchgedrehten Fan bekommen?«, wollte Jimmy wissen. »Irgendwelche Hassbriefe?«
    »Schon seit einiger Zeit nichts dergleichen«, antwortete Danny. Nur die üblichen religiösen Spinner und die Arschlöcher, die sich ständig über die »unschickliche« Sprache des Schriftstellers oder über die »anstößigen« Sexszenen beschwerten.
    »Heutzutage ist jeder ein Scheißzensor«, hatte Ketchum kommentiert.
    Sobald
Jenseits von Bangor
auf den Markt kam - sein sogenannter Abtreibungsroman -, mochte es eine Weile lang mehr Hassbriefe geben, das wusste Danny. Aber in letzter Zeit hatte er nichts Bedrohliches bekommen.
    »Niemand will dir etwas Böses - jedenfalls nicht, soviel du weißt, stimmt's?«, fragte Jimmy.
    »Es gibt da jemanden, der glaubt, er und mein Dad hätten noch eine Rechnung offen - und der ist gefährlich«, sagte Danny. »Aber der kann es nicht sein.«
    Danny folgte dem Polizisten zuerst in die Küche des Neubaus. Kleinigkeiten stimmten nicht: Die Backofentür stand offen; eine Flasche Olivenöl lag flach auf der Anrichte, doch der Verschluss war zugeschraubt, und es war kein Öl ausgelaufen. Danny ging ins Wohnzimmer, schaltete die am lautesten wummernde Musik ab und bemerkte dabei, dass die Couchtischlampe auf dem Sofa lag, aber offenbar war nichts beschädigt worden. Die mutwilligen, aber kleinen Veränderungen deuteten auf Schabernack hin, nicht auf Vandalismus; der Fernseher war zwar an, lief aber ohne Ton.
    Obwohl Danny auf dem Weg ins Wohnzimmer, zur Quelle der einen Hälfte der Musik, durch das Esszimmer gekommen war, hatte er nur bemerkt, dass einer der Stühle am Esszimmertisch umgekippt worden war. Als Danny die Musik abdrehte, sagte Jimmy: »Weißt du, wessen Hund das ist, Danny? Ich glaube, es ist der eine von zwei Hunden drüben auf der Nebenstraße nach Westminster West. Sie gehören Roland Drake. Den kennst du vielleicht - er war auf Windham.«
    Seit Danny dem Hund zuletzt begegnet war, hatte die Totenstarre eingesetzt - es war der von Rooster getötete Husky-Schäferhund-Mischling. Er lag lang ausgestreckt und mit für immer gefletschten Zähnen auf dem Esszimmertisch. Eine seiner gekrümmt erstarrten Hundepfoten lag wie ein Briefbeschwerer auf der Nachricht, die Danny dem Hippietischler geschrieben hatte. Auf Dannys getippte Worte »Irgendwann muss Schluss sein, okay?«, hatte der Hippie von Hand geantwortet.
    »Sag nichts - lass mich raten«, sagte der Autor zu dem Polizisten. »Bestimmt hat das Arschloch
Fick dich, du kannst mich mal!
oder so etwas geschrieben.«
    »So ist es, Danny«, sagte Jimmy. »Offenbar kennst du ihn.«
    Roland Drake -
das
Arschloch!, dachte Danny. Armando DeSimone hatte recht gehabt. Roland Drake war auf dem Windham College Student in einem von Dannys Schreibseminaren gewesen, wenn auch nur kurz. Drake hatte den Kurs geschmissen, als Danny dem arroganten jungen Schnösel in seiner Sprechstunde erklärte, man bekomme wohl kaum gute Literatur hin, wenn man sie nicht überarbeite. Roland Drakes Texte waren immer hingeschluderte Rohfassungen - er hatte eine annehmbare Phantasie, war aber schlampig. Um Details oder die Sprache kümmerte er sich nicht weiter.
    »Ich steh auf Schreiben, nicht auf Überarbeiten«, hatte Drake Danny gesagt. »Mir gefällt nur das
Kreative
daran.«
    »Aber Überarbeiten
ist
Schreiben«, hatte Danny dem jungen Mann entgegnet. »Manchmal ist die Überarbeitung das
Kreativste
daran.«
    Hämisch grinsend, hatte Roland Drake Dannys Büro verlassen. Das war ihr einziges Gespräch gewesen. Damals war der junge Mann nicht so behaart gewesen; vielleicht hatte sich Drake in jüngeren Jahren noch nicht für das Hippiedasein entschieden. Und Danny fiel es schwer, Menschen wiederzuerkennen, die er lange nicht mehr gesehen hatte. Das war ein echtes Problem, wenn man berühmt war: Ständig begegnete man Leuten zum, wie man glaubte, ersten Mal, doch sie konnten sich an frühere Treffen erinnern. Wahrscheinlich hatte Drake es als zusätzliche Beleidigung

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