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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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erschießen musste -
was wäre, wenn
Jimmy den Schriftstellertischler und seinen Husky-Schäferhund-Mischling irgendwie überzeugen könnte, dass irgendwann wirklich Schluss sein musste? Würde das ein Ende der Gewalt oder der Androhung von Gewalt bedeuten?
    In diesem Moment wurde dem Schriftsteller klar, worauf er lauschte: auf nichts. Er hoffte, gar nichts zu hören. Diesen
Nicht-schuss,
der bedeuten würde, dass sein Dad in Sicherheit war - dass der Cowboy, so wie Paul Polcari, vielleicht nie abdrückte.
    Danny wollte nicht an das denken, was Jimmy ihm gesagt hatte - es betraf die Tube Zahnpasta und die Zahnbürste in Joes Wagen. Eventuell waren sie gar nicht von Roland Drake dort platziert worden und hatten mit Drakes Schabernack nichts zu tun.
    »Ich sag dir das nur ungern, Danny, aber ich habe jede Menge junge Leute erwischt, die in ihrem Auto Alkohol getrunken haben«, hatte der Polizist erzählt. »Und diese jungen Leute haben häufig Zahnpasta und Zahnbürste griffbereit - damit ihre Eltern nicht an ihrem Atem merken, dass sie getrunken haben, wenn sie nach Hause kommen.« Doch Danny wollte lieber glauben, dass Zahnpasta und Zahnbürste zu Drakes kindischen Streichen gehörten. Dass sein Sohn betrunken Auto fuhr, mochte sich der Schriftsteller nicht vorstellen.
    War Danny abergläubisch (so wie die meisten Schriftsteller, die ihre Geschichten genau planen)? Danny dachte auch nicht gern an das, was Lady Sky zu Joe gesagt hatte. »Falls du je in Schwierigkeiten steckst, komme ich wieder«, hatte sie zu dem Zweijährigen gesagt und ihn auf die Stirn geküsst. Tja, aber nicht in einer so dunklen Nacht wie dieser, dachte der Schriftsteller. In einer so dunklen Nacht wie dieser sah kein Fallschirmspringer - nicht einmal Lady Sky -, wo man landen musste.
    Inzwischen hatte der Regen das bisschen Mondschein verwischt; Tropfen fielen durch die offenen Seitenscheiben von Dannys Auto und rannen in Schlieren über die Windschutzscheibe, was die Dunkelheit für Danny noch undurchdringlicher machte.
    Bestimmt war der Polizist schon in Drakes Einfahrt, diesen Schrottplatz, abgebogen. Und was würde Jimmy dann machen?, fragte sich Danny. Einfach nur im Streifenwagen sitzen, bis Drake das Auto bemerkte und nach draußen kam, um mit ihm zu reden? (Und würde Roland dann allein herauskommen oder den Hund mitbringen, der einen hinterrücks anfiel?) Andererseits regnete es; aus Rücksicht auf den Hippietischler und wegen der vorgerückten Stunde war der Cop vielleicht aus seinem Wagen gestiegen und hatte an Drakes Tür geklopft.
    Bei diesem Gedanken klopfte es an die Beifahrertür von Dannys Auto, und eine Taschenlampe leuchtete dem Schriftsteller ins Gesicht. »Gott sei Dank - du bist es«, hörte er Barrett sagen. Seine ehemalige, mit einem Gewehr bewaffnete Geliebte öffnete die Wagentür und rutschte auf den Sitz neben ihm. Sie hatte ihre kniehohen Stallgummistiefel und einen Regenponcho an. Beim Einsteigen hatte sie die Kapuze abgestreift, und ihre langen weißen Haare waren nicht geflochten - als wäre sie schon vor Stunden zu Bett gegangen und plötzlich geweckt worden. Barretts Schenkel waren nackt; unter dem Regenponcho trug sie nichts. (Danny wusste natürlich, dass Barrett nackt schlief.) »Hab ich dir gefehlt, Danny?«, fragte sie ihn.
    »Du bist aber spät auf, stimmt's?«, fragte Danny zurück.
    »Vor etwa einer Stunde musste ich einem meiner Pferde den Gnadenschuss geben - es war zu spät, um den verdammten Tierarzt zu holen«, erzählte ihm Barrett. Sie saß da wie ein Mann, mit gespreizten Knien. Der Karabiner, dessen Lauf auf den Boden zeigte, lag zwischen ihren hübschen Tänzerinnenbeinen. Es war eine alte Remington-Repetierbüchse - eine .30-06 Springfield, wie sie Danny vor ein paar Jahren einmal erklärt hatte, als sie auf seinem Anwesen in Putney aufgetaucht war, auf der Hirschjagd. Barrett jagte dort immer noch Hirsche; auf dem Grundstück stand ein verwilderter Obstgarten, in dem Barrett mehr als einen Hirsch geschossen hatte. (Wie hatte der Koch sie genannt - eine »selektive« Tierfreundin, oder? Danny kannte mehrere von der Sorte.)
    »Das mit deinem Pferd tut mir leid«, sagte er ihr.
    »Das mit dem Gewehr tut mir leid - ich weiß, du magst keine Schusswaffen«, erwiderte sie. »Aber ich hab deinen Wagen nicht erkannt - der ist wohl neu -, und wenn fremde Männer in der Auffahrt parken, sollte man gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.«
    »Ja, du hast mir gefehlt«, log Danny. »Ich verlasse Vermont.

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