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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nüchtern. Natürlich hatte Ketchum sie einzeln angerufen, doch irritierend war, wie er mit jedem von ihnen sprach, als wären Danny
und
sein Dad anwesend.
    »Dreizehn Jahre lang hat der Cowboy euch zwei in Toronto vermutet - weil er dachte, Angel käme daher, hab ich recht? Na
klar
hab ich recht!«, dröhnte Ketchum.
    O Gott, dachte der Koch in seiner geliebten Küche im Avellino, wo er sich einen extra starken Espresso gemacht hatte und überlegte, warum Ketchum immer glaubte, schreien zu müssen, damit man auf ihn hörte. Laut Ketchum hatten Dot und May weniger Phantasie als ein Krümel Waschbärenkacke; zwar würden »diese Tratschtanten« dem Cowboy garantiert erzählen, was sie wussten, sich aber untereinander nicht einigen können, wie oder wann sie es ihm sagen sollten. Dot würde warten wollen, bis der Exhilfssheriff sich besonders abscheulich oder arrogant benahm, während May lieber
andeuten
würde, dass sie etwas wusste - bis Carl es um jeden Preis erfahren wollte. Kurzum, das Faible der alten Schachteln für bösartige Manipulationen würde Danny und seinem Dad vielleicht etwas Zeit verschaffen.
    Als Ketchum mit Danny telefonierte, wurde er präziser: »Also, passt mal auf, ihr zwei. Da Carl jetzt weiß, dass ihr nicht nach Toronto gezogen seid, sondern nach Boston - und er wird bald wissen, dass ihr anschließend nach Vermont weitergezogen seid -, würde er euch nie in Toronto vermuten. Dort würde er euch zuallerletzt suchen - da solltet ihr hinziehen! In Toronto spricht man Englisch. Du hast dort doch einen Verlag, Danny, stimmt's? Und für einen Koch gibt es bestimmt jede Menge Arbeit - aber nicht in einem italienischen Restaurant, Cookie, sonst komme ich persönlich vorbei und erschieß dich, ich schwör's!«
    Ich bin nicht Cookie,
hätte Danny fast gesagt, blieb aber stumm.
    Toronto war gar keine schlechte Wahl, dachte Danny Angel, während er Ketchums immer hysterischer werdenden Redeschwall über sich ergehen ließ. Danny war auf der einen oder anderen Lesereise dort gewesen. Es war eine gute Stadt, dachte er -  wenn Danny sich überhaupt einmal über Städte Gedanken machte. (Der Koch war eher ein Stadtmensch als sein Sohn.) Kanada war Ausland, erfüllte also Ketchums Kriterium, aber Toronto lag nahe genug an den Staaten, dass sie den Kontakt zu Joe aufrechterhalten konnten; von Toronto käme man problemlos nach Colorado. Aber selbstverständlich wollte Danny wissen, was Joe von der Idee hielt - und was der Koch zu Ketchums Vorschlag sagte.
    Kaum hatte Ketchum aufgelegt, klingelte Dannys Telefon wieder. Natürlich war sein Dad dran.
    »Wir werden nie unseren Frieden haben, solange dieser Irre ein eigenes Telefon hat, Daniel«, sagte der Koch. »Und falls er je ein Faxgerät kriegt, werden wir bis an unser Lebensende mit Großbuchstaben und Ausrufungszeichen bombardiert werden.«
    »Aber was hältst du von Ketchums Idee, Dad? Was hältst du von Toronto?«, fragte Danny.
    »Mir ist egal, wohin wir gehen - es tut mir nur leid, dass ich dich da mit reingezogen habe. Ich wollte dich doch bloß in
Sicherheit
bringen!«, sagte der Koch; dann fing er an zu weinen. »Ich will
nirgendwohin.
Mir gefällt es
hier!«
    »Das weiß ich auch - tut mir leid, Paps. Aber in Toronto wird es uns gutgehen, ganz bestimmt«, versicherte der Schriftsteller seinem Vater.
    »Ich kann Ketchum nicht bitten, Carl zu töten, Daniel, ich kann's einfach nicht.«
    »Ich weiß - und mir geht's genauso.«
    »Du hast doch einen Verleger in Kanada, oder, Daniel?«, fragte sein Dad. Zum ersten Mal klang dessen Stimme alt, beinahe
betagt.
Der Koch war zwar fast sechzig, doch etwas in seiner Stimme klang für Daniel älter: nicht bloß ängstlich, sondern fast gebrechlich. »Wenn du in Toronto einen Verleger hast«, fuhr sein Vater fort, »hilft er uns bestimmt, eine Bleibe zu finden, nicht wahr?«
    »Sie -
mein kanadischer Verleger ist eine Verlegen««, antwortete Danny. »Natürlich wird sie uns helfen, Paps, kein Problem. Und wir suchen uns etwas in Colorado, um Joe zu besuchen - und Joe kann uns besuchen kommen. Wir müssen uns diesen Umzug nicht unbedingt als
dauerhaft,
vorstellen - jedenfalls nicht gleich. Wir schauen erst mal, wie es uns in Kanada gefällt, einverstanden?«
    »Einverstanden«, sagte der Koch, weinte aber immer noch.
    Von mir aus könnte ich Vermont
heute
verlassen, dachte Danny. Er fühlte sich in Putney lange nicht so verwurzelt wie sein Dad im Avellino und in seinem Leben in Brattleboro. Nachdem Dot und May

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