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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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der Geschichte noch weiterging.
    Eins war klar, als Barrett neben ihm saß, ihren Karabiner inzwischen über den Schoß gelegt, so dass der kurze Lauf des leichten Gewehrs auf die Beifahrertür zeigte. Es war nie Schluss; die Gewalt nahm kein Ende.
     

TEIL IV
TORONTO 2000

12 - Der blaue Mustang
    Von Rosedale, wo der Koch und sein Sohn, der Schriftsteller, zusammen ein zweistöckiges Haus bewohnten, zu dem Restaurant in der Yonge Street war es nicht besonders weit. Doch in seinem Alter - er war inzwischen 76 - und wegen seines Hinkens, das sich im Laufe der vergangenen 17 Jahre auf hartem Großstadtpflaster merklich verschlimmert hatte, war Dominic Baciagalupo, der seinen alten Namen wieder angenommen hatte, ein ausgesprochen langsamer Fußgänger.
    Gerade humpelte der Koch den glatten Gehsteig entlang; der Winter war noch nie sein Freund gewesen. Und Dominic machte sich wegen der zwei neuen Häuser mit Eigentumswohnungen Sorgen, die praktisch in ihrem Hinterhof errichtet wurden. Was wäre, wenn eins der beiden den Blick von Daniels Schreibzimmer auf den Uhrenturm des Summerhill-Spirituosenladens verstellen würde?
    »Wenn ich von meinem Schreibtisch aus den Uhrenturm nicht mehr sehen kann, sollten wir umziehen«, hatte Danny zu seinem Dad gesagt.
    Ob es sein Sohn nun ernst meinte oder nicht, fest stand, dass der Koch ungern umzog. Der Blick aus dem Haus am Cluny Drive interessierte Dominic nicht. Er hatte seit über sechsundfünfzig Jahren keinen Alkohol mehr angerührt; ob ein paar im Bau befindliche Häuser ihn daran hinderten, den Summerhill-Schnapsladen zu sehen, war dem Koch völlig egal.
    Ob es Daniel deswegen etwas ausmachte, weil er wieder trank?, fragte sich Dominic. Und wie lange noch würden diese Baustellen ein Schandfleck sein? (Dominic war in einem Alter, wo ihn jegliche Unordnung störte.) Doch er wohnte gern in Rosedale, und er mochte das Restaurant sehr, in dem er arbeitete.
    Dominic Baciagalupo mochte auch das Geräusch von Tennisbällen, das er in den warmen Monaten hören konnte, wenn die Fenster in ihrem Haus offen standen; der Koch und sein Sohn wohnten in Sicht- und Hörweite des Toronto Lawn Tennis Club, zu dem auch ein Pool gehörte, in dem im Sommer die Kinder laut und fröhlich planschten. In den Wintermonaten drang durch die geschlossenen Fenster das Rattern der Züge, die sich langsam durch Torontos Innenstadt schlängelten und die Yonge Street auf einer Eisenbrücke überquerten, die jetzt mit Weihnachtsbeleuchtung geschmückt war und das düstere Grau des frühen Nachmittags aufhellte.
    Es war Dezember. Überall in der Stadt sah man festliche Lichter, opulente Dekorationen und Menschen auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken. Während Dominic dastand und darauf wartete, dass die Fußgängerampel an der Yonge Street grün wurde, fiel ihm plötzlich ein, dass Ketchum ja zu Weihnachten nach Toronto kommen würde. Auch wenn es nicht das erste Mal war, konnte sich der Koch doch nicht an das Bild des Holzfällers in der Großstadt gewöhnen, es war irgendwie widernatürlich. Seit Danny Angel und sein Dad das letzte Mal Weihnachten bei Joe in Colorado verbracht hatten, waren 14 Jahre vergangen. (Ketchum war die Fahrt von New Hampshire nach Boulder immer zu weit gewesen, und er weigerte sich standhaft zu fliegen.)
    Als Joe noch die Universität in Boulder besuchte, mietete Daniel zur Skisaison immer ein großes Blockhaus in Winter Park. Da die Straße von Grand Lake durch den Rocky Mountain National Park im Winter gesperrt war, dauerte die Fahrt aus Boulder etwa zwei Stunden, man musste die Interstate 70 und den U.S. Highway 40 über den Berthoud Pass nehmen. Doch Joe fuhr fürs Leben gern Ski in Winter Park, und sein Dad verwöhnte ihn. (Jedenfalls glaubte das der Koch, während er wartete, dass die Ampel an der Yonge Street endlich umsprang.)
    Sie hatten in Colorado wunderschöne Weihnachtstage verbracht, doch das Haus in Winter Park war für Joe eine zu große Versuchung gewesen, besonders während der restlichen Skisaison, wenn Vater und Großvater wieder in Toronto waren. Natürlich ließ der junge Mann gelegentlich ein paar Seminare ausfallen - vielleicht sogar jedes Mal, wenn in den Bergen Neuschnee gefallen war. Allein die Skihänge in der Nähe hätten jeden Studenten gereizt, aber dass ihm ein Haus in Winter Park zur Verfügung stand, von wo aus er die Skilifte zu Fuß erreichen konnte, war mit großer Sicherheit Joes Verderben gewesen. (Oh, Daniel, was hast du dir nur dabei

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