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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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im Restaurant aufgetaucht waren - von Roland Drakes Besuch und dessen totem Hund auf dem Esstisch ganz zu schweigen -, hatte Danny das Gefühl, er könnte Vermont hinter sich lassen, ohne sich noch einmal umzuschauen.
    Als Carl schließlich Dot und May, den beiden alten Zimtzicken, begegnete und nach Vermont fuhr, kam er zu spät. Mit Hilfe von Armando und Mary DeSimone hatte Danny inzwischen das Grundstück in Putney verkauft; an der Hickory Ridge Road gab es kein Schriftstelleranwesen mehr. Und Windham College, wo Danny Angel unterrichtet hatte, hatte jetzt einen anderen Namen (und eine andere Aufgabe) - es hieß nun Landmark College und war eine führende Einrichtung für Lernbehinderte. Als der Cowboy schließlich in Brattleboro auftauchte, gab es das Avellino nicht mehr - und wohin Greg, der Sous-Chef, auch verschwunden sein mochte, Carl fand ihn nicht. Auf Drängen des Kochs hatten Celeste und ihre Tochter Loretta (samt Lorettas Kind) die Stadt verlassen. Wieder einmal stand der Cowboy mit leeren Händen da, auch wenn sich Dot und May ganz offensichtlich den Mund fusselig geredet hatten.
    War Carl vielleicht wirklich so ein Schwachkopf, wie Ketchum gelegentlich behauptet hatte? Hatte der Cowboy nicht mehr detektivisches Talent als der von Ketchum so gern strapazierte Krümel Waschbärenkacke? Oder war der Hilfssheriff im Ruhestand bei seinen ganzen Recherchen in Vermont einfach nur nicht auf den Namen
Angel
gestoßen? Ganz offensichtlich hatte sich der Cowboy in Brattleboro nicht in The Book Cellar nach dem Koch und dessen Sohn erkundigt!
    »Du wusstest, dass Cookie in Vermont war, das wusstest du die ganze Zeit, stimmt's, Ketchum?«, fragte Carl eines Tages den alten Holzfäller.
    »Cookie?
Den
gibt's noch?«, erwiderte Ketchum. »Ich hätte nie gedacht, dass so ein Hinkebein sich dermaßen lange halten würde - du vielleicht, Carl?«
    »Mach nur weiter so, Ketchum, mach nur weiter so«, sagte Carl.
    »Keine Bange, ich werd so weitermachen«, gab Ketchum zurück.
    Doch Danny konnte es kaum erwarten, aus Vermont zu verschwinden; nach dem Abend, an dem er und Jimmy den toten Hund auf seinem Esstisch gefunden hatten, wollte er einfach nur noch weg.
    An jenem Abend war er auf der Nebenstraße nach Westminster West nur bis zu Barretts langer, steiler Auffahrt gefahren. Dann hatte er zurückgesetzt und auf dem Grundstück der Tierfreundin gehalten. Danny wusste, dass Barrett früh schlafen ging und das Auto nicht bemerken würde, das in ihrer Auffahrt parkte - so weit weg von ihrer Farm, dass nicht einmal ihre Pferde etwas mitbekämen. Außerdem hatte Danny Scheinwerfer und Motor ausgemacht. Er saß einfach nur mit offenen Scheiben in seinem Wagen und schaute in Richtung Westminster West.
    Es war eine warme, windstille Nacht. Danny wusste, dass man in so einer Nacht einen Schuss kilometerweit hörte. Was er zunächst nicht wusste: Wollte er ihn denn hören? Und was genau würde es bedeuten, wenn er diesen Schuss hörte oder nicht hörte? Der Schriftsteller lauschte auf mehr als auf den Tod oder das Überleben von Roland Drakes zweitem, hinterrücks angreifendem Husky-Schäferhund-Mischling.
    Mit 41 fühlte Danny sich wieder wie ein Zwölfjähriger; dass es angefangen hatte zu regnen, war keine Hilfe. Er erinnerte sich an die neblige Nacht, als er und sein Dad in dem Pontiac Chieftain Twisted River verlassen hatten - und daran, wie er in dem Kombi in der Nähe von Sixpack-Pams Wohnung gewartet hatte. Danny hatte auf den Schuss aus Carls 45er-Colt gehorcht, der bedeuten würde, dass sein Dad tot war. Hätte er diesen Knall gehört, wäre der Junge unverzüglich die Treppe zu Sixpacks Wohnung hochgerannt, hätte sie angefleht, ihn hineinzulassen, und dann hätte sich Ketchum um ihn gekümmert. Das war der Plan gewesen, und Danny hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt; er hatte bei strömendem Regen in dem Wagen gesessen und auf den Schuss gelauscht, der nie kam, obwohl Danny manchmal das Gefühl hatte, dass er immer noch darauf wartete.
    An der Nebenstraße nach Westminster West, dort, wo die Auffahrt seiner ehemaligen Geliebten von der Straße abzweigte, lauschte Danny Angel so konzentriert wie möglich. Er hoffte,
diesen
Schuss nie hören zu müssen - den ohrenbetäubenden Knall aus dem 45er-Colt des Cowboys -, doch mit dem Gedanken an diesen Schuss ließ der Schriftsteller dem gefährlichen
Was-wäre-
wenn
-Hang seiner Phantasie die Zügel schießen.
Was wäre, wenn
der Polizist Roland Drakes anderen Hund nicht

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