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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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italienisch. Wenn Ketchum wüsste, dass sein Kumpel Cookie Silvestro als »zweiten Sohn« betrachtete, wäre das nicht gut, denn Dominic wollte nicht von noch mehr Faxen überschwemmt werden, in denen sich Ketchum auch noch darüber beschwerte. Ketchums übliche Klagen reichten völlig aus.
     
    ich dachte, du als halbrentner würdest in einem französischen restaurant arbeiten, cookie. du denkst doch nicht etwa daran, den namen des restaurants zu än dern, oder? hoffentlich nicht in irgendwas italienisches! dieser neue kerl, der junge chefkoch, den du erwähnst - silvestro? ist das sein name? tja, klingt in meinen ohren nicht sehr französisch! das restaurant heisst aber immer noch
PATRICE,
oder?
     
    Ja und nein, dachte Dominic. Und genau deshalb beantwortete der Koch Ketchums letztes Fax nicht.
    Der Besitzer und Oberkellner des Restaurants, Patrice Arnaud, war 58, also in Daniels Alter. Arnaud war in Lyon geboren, aber in Marseille aufgewachsen. Mit 16 hatte er eine Hotelfachschule in Nizza besucht. In der Küche des Patrice hing ein altes sepiabraunes Foto des jugendlichen Arnaud in weißer Kochkleidung, doch Arnauds Zukunft sollte im Management liegen; er hatte die Gäste im Speisesaal eines Beach Club auf den Bermudas beeindruckt und lernte dort den Eigentümer des altehrwürdigen Wembley Hotel in Toronto kennen.
    Als Dominic 1983 nach Toronto zog, war Patrice Arnaud Manager des Maxim's - eines beliebten Cafes und angesagten Treffpunkts in der Gegend um Bay und Bloor Street. Das Maxim's war der dritte Anlauf für ein Cafe-Restaurant im müden alten Wembley Hotel gewesen. Für Dominic Baciagalupo, dem Ketchums ominöse Warnung noch in den Knochen saß, er müsse der Welt italienischer Restaurants völlig entsagen, waren Patrice Arnaud und das Maxim's eindeutig erste Wahl - und obendrein total unitalienisch. Das Maxim's war ausgesprochen französisch, Patrice hatte sogar seinen Bruder Marcel überredet, Marseille zu verlassen und dort Küchenchef zu werden.
    »Oh, aber das Schiff sinkt bereits, Dominic«, hatte Patrice den Koch gewarnt. Damit meinte er, dass sich Toronto im Eiltempo veränderte. Die zukünftigen Gäste würden mehr wollen als biedere Hotelrestaurants. (Nachdem die Brüder Arnaud das Maxim's aufgegeben hatten, wurde aus dem alten Wembley Hotel ein Parkhaus.)
    Im folgenden Jahrzehnt arbeitete Dominic mit den Brüdern Arnaud in deren eigenem Restaurant in der Queen Street West - einer Gegend, die im Umbruch und zu der Zeit ein wenig heruntergekommen war. Doch das Bastringue florierte. Mittags wie abends hatten sie fünfzig Gedecke; Marcel war damals Küchenchef, und Dominic ging nur zu gern bei ihm in die Lehre. Es gab Foie gras, es gab frische Austern aus Frankreich. (Auch hier scheiterte der Koch an der Kunst der Dessertzubereitung - Marcels Tarte Tatin mit Calvados-Sabayon gelang ihm nie.)
    Das Bastringue - pariserisch für »Tanzsaal mit angeschlossenem Restaurant« - trotzte sogar der Rezession von 1990. Sie legten Wachspapier auf die Leinentischtücher und machten aus dem Restaurant ein Bistro - Steak mit Pommes, Miesmuscheln, gedünstet mit Weißwein und Porree -, aber ihr Mietvertrag lief 1995 aus, nachdem sich die Queen Street West innerhalb eines Jahrzehnts von schäbig über hip bis hin zu ödem Mainstream gewandelt hatte. (Aus dem Bastringue wurde ein Schuhgeschäft, Marcel ging zurück nach Frankreich.)
    Dominic und Patrice Arnaud hielten zusammen; ein Jahr lang arbeiteten sie im Avalon, doch Arnaud sagte seinem Freund, dass sie »nur auf den richtigen Zeitpunkt warteten«. Patrice wollte wieder etwas Eigenes haben, und 1997 kaufte er ein insolventes Restaurant in der Yonge Street in Summerhill auf. Silvestro stammte zwar ursprünglich aus Italien, war aber ein Kalabrese, der in London und Mailand gearbeitet hatte; Arnaud legte wert auf Weitläufigkeit. (»Das bedeutet, dass man Neues lernen kann«, erklärte Patrice Dominic, als er sich für den jungen Silvestro als seinen nächsten Küchenchef entschied.)
    Und der Name des neuen Restaurants,
Patrice
- wie hätte es Arnaud sonst nennen sollen? »Du hast es verdient«, sagte Dominic zu Patrice. »Dein Name muss dir nicht peinlich sein.«
    In den ersten Jahren hatte Patrice - der Name und, in geringerem Maß, das Restaurant - funktioniert. Arnaud und der Koch brachten Silvestro einige von Marcels Klassikern bei: den Hummer mit Senf-Sabayon, die Fischsuppe aus der Bretagne, die Enten-Foiegras-Terrine mit einem Löffel Portweingelee, den

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