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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Heilbutt
en papillote,
das
Côte de boeuf
für zwei, die gegrillte Kalbsleber mit Speckstreifen, Perlzwiebeln und Balsamico-
demi-glace.
Selbstredend ergänzte Silvestro die Speisekarte mit seinen eigenen Gerichten - Ravioli mit Weinbergschnecken und Knoblauch-Kräuterbutter, Kalbs-Scaloppine
al limone,
hausgemachte Tagliatelle mit Entenconfit und Steinpilzen, Kaninchen mit Polenta-Gnocchi. (Auch Dominic steuerte ein paar Gerichte zur Speisekarte bei.) Das Restaurant in der Yonge Street 1158 war neu, aber nicht ausschließlich französisch - und in der Gegend auch nicht so erfolgreich, wie Arnaud gehofft hatte.
    »Es liegt nicht nur am Namen, aber der Name ist auch Mist«, sagte Patrice zu Dominic und Silvestro. »Ich habe Rosedale völlig falsch eingeschätzt - man braucht in dieser Gegend kein teures französisches Restaurant. Wir müssen lässiger und
preiswerter
werden! Unsere Gäste müssen zwei- oder dreimal die Woche zu uns kommen, nicht alle paar Monate.«
    Während der Weihnachtspause war das Patrice normalerweise geschlossen - dieses Jahr vom 24. Dezember bis zum 2. Januar, Zeit genug für die von Arnaud geplante Renovierung. Die Sitzbänke sollten abgebeizt und komplett neu gepolstert, die zitronengelben Wände frisch verputzt werden. Poster der alten Schifffahrtslinie sollten aufgehängt werden: »Le Havre, Southampton, New York - Compagnie Generale Transatiantique!«, hatte Patrice verkündet und ein paar Toulouse-Lautrec-Plakate der Moulin-Rouge-Tänzerin La Goulue und der Sängerin Jane Avril aufgetrieben. Fish 'n' Chips sollten die Speisekarte ergänzen, ebenso wie Beefsteak Tartar mit Pommes; die Preise für Speisen und Wein sollten um 25 Prozent sinken. Aus dem Restaurant sollte wieder ein Bistro werden, wie in den herrlichen Rezessionstagen des Bastringue, allerdings wollte Patrice den Begriff
Bistro
meiden. (»Das Wort
Bistro
ist dermaßen überstrapaziert, dass es nichts mehr bedeutet!«, erklärte Arnaud.)
    Restaurants müssen sich immer wieder neu erfinden, wusste Arnaud.
    »Aber was ist mit dem
Namen?«,
hatte Silvestro seinen Boss gefragt. Der Kalabrese hatte seinen eigenen Vorschlag, wie Dominic wusste.
    »Ich finde,
Patrice
ist zu französisch«, hatte Patrice geantwortet. »Das ist zu
old-school,
klingt zu sehr nach altem Geld. Es muss weg.« Arnaud war klug und weltmännisch, er war lässig, aber charmant. Dominic mochte und bewunderte den Mann, doch diesen Teil der Veränderung fürchtete er - alles nur, um die Snobs in Rosedale zufriedenzustellen.
    »Ihr beide kennt ja meine Meinung«, sagte Silvestro mit einem aufgesetzt gleichmütigen Achselzucken; er war ein gutaussehender, selbstsicherer Mann, wie man sich einen Sohn wünschte.
    Der junge Küchenchef war fasziniert von dem Effekt des Milchglases in der unteren Hälfte des großen Panoramafensters mit Blick zur Yonge Street. Passanten auf der Straße verwehrte das trübe Glas die Sicht ins Restaurant; die Gäste an ihren Tischen waren vom Gehsteig aus nicht zu sehen. Doch die obere Hälfte der großen Glasscheibe war durchsichtig; Restaurantgäste konnten das rote Ahornblatt auf der kanadischen Flagge über dem Summerhill-Spirituosenladen, konnten auf die andere Seite der Yonge Street und (eines Tages) die beiden noch im Bau befindlichen Wohnhochhäuser an dem zukünftigen Scrivener Square sehen. Der untere, milchige Teil der Scheibe wirkte wie ein Vorhang - so lautete Silvestros gewundene Begründung seines Namensvorschlags für das Restaurant.
    »La Tenda«,
sagte Silvestro mit Gefühl. »Der Vorhang.«
    »Das klingt irgendwie unheilvoll«, hatte Dominic dem jungen Küchenchef gesagt. »In einem Restaurant, das so heißt, würde ich nicht essen wollen.«
    »Silvestro, ich finde, du solltest dir diesen Namen für dein allererstes eigenes Restaurant aufheben - wenn du Eigentümer und Chefkoch bist, was garantiert geschehen wird!«, meinte Arnaud.
    »La Tenda«, wiederholte Silvestro zärtlich, und seine warmen braunen Augen füllten sich mit Tränen.
    »Es ist zu italienisch«, sagte Dominic dem schwärmerischen jungen Mann. »Es mag zwar kein rein französisches Restaurant sein, aber italienisch ist es auch nicht.« Was würde Ketchum sagen, wenn das ehemalige Patrice einen italienischen Namen bekäme?, dachte Dominic, der gleichzeitig begriff, wie absurd sein Argument war - vor allem von ihm, dessen sizilianischer Hackbraten und dessen Penne
alla puttanesca
nach Weihnachten auf der neuen, schlichteren Speisekarte stehen

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