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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Regisseur. Und er war ungefähr in Charlottes Alter. Sie hatte inzwischen ein Baby, ein kleines Mädchen, und erwartete ein zweites - eins mehr, als Danny ihr versprochen hatte.
    Charlotte hatte zwar ihre Insel in der Georgian Bay behalten, war aber aus Toronto weggezogen und wohnte jetzt in Los Angeles. Im September kam sie immer zum Filmfestival nach Toronto zurück, und Anfang Herbst richtete es Danny immer so ein, dass er die Stadt eine Weile verließ. Sie telefonierten noch miteinander - immer rief Charlotte ihn an, nie umgekehrt -, aber wahrscheinlich war es für beide einfacher, wenn sie sich nicht über den Weg liefen.
    Charlotte Turner war hochschwanger mit ihrem ersten Kind, als sie im März 2000 für
Jenseits von Bangor
den Oscar für die beste Drehbuchadaption bekam. Danny und sein Dad hatten die Oscarverleihung im Fernsehen mitverfolgt. (Sonntags abends war das Patrice immer geschlossen.) Charlotte in Toronto auf dem Bildschirm zu sehen, während sie in l.a. den Oscar in Empfang nahm, war natürlich nicht dasselbe, wie sie
wirklich
zu sehen. Der Koch und Danny wünschten ihr alles Gute.
    Es war einfach Pech. »Schlechtes Timing, stimmt's?«, hatte Ketchum gesagt. (Wäre Joe drei Monate später gestorben, hätte Danny Charlotte wahrscheinlich schon geschwängert gehabt. Es war wirklich schlechtes Timing gewesen.)
     
    Joe und dieses Mädchen (sie war ebenfalls im letzten Studienjahr an seiner Uni) hatten in Boulder mehrere Seminare zusammen besucht, und mit der gemeinsamen Fahrt nach Winter Park hatte Joe sich vielleicht selbst ein verspätetes Geburtstagsgeschenk gemacht. Wie ihre gemeinsamen Freunde erzählten, schliefen Joe und das Mädchen damals erst seit kurzem miteinander. Das Mädchen fuhr zum ersten Mal allein mit Joe nach Winter Park, allerdings erinnerten sich sowohl Danny als auch sein Dad, dass sie in den Weihnachtsferien davor zusammen mit anderen Kommilitonen von Joe - Mädchen und Jungs, die einfach nur Freunde waren - ein paar Nächte in der Skihütte verbracht hatte.
    Schließlich war es ein großes Haus, und Charlotte zufolge, die altersmäßig Joe und seinen Kumpels näher war als Danny, konnte man unmöglich sagen, wer mit wem schlief. Sie waren so viele, und anscheinend waren sie alle Freunde fürs Leben. Während dieser letzten Weihnachtsferien in Colorado hatten die jungen Leute die Matratzen aus ihren Zimmern geholt und im Wohnzimmer zusammengelegt, wo anschließend alle aneinandergekuschelt vor dem Kamin eingeschlafen waren.
    Doch trotz der vielen Leute und des Hochbetriebs unter den Duschen - zu Dannys und Dominics Überraschung duschten einige der Mädchen gemeinsam - war dem Koch und seinem Sohn bei dieser jungen Frau etwas Besonderes aufgefallen. Charlotte hatte es nicht bemerkt. Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen, und vielleicht steckte auch gar nichts dahinter, doch nachdem Joe mit dem Mädchen gestorben war, ging es dem Schriftsteller und dem Koch nicht mehr aus dem Kopf.
    Sie war hübsch und zierlich gewesen, fast elfenhaft, und natürlich hatte Joe seinem Vater und Großvater gegenüber betont, er habe Meg in einem Aktzeichenkurs kennengelernt, wo sie Modell gestanden hatte.
    »Ein
Blick auf die Kleine ist nicht genug - das reicht bei weitem nicht«, sagte der Koch kurz nach jenen Weihnachtsferien zu Ketchum.
    Es ging nicht nur darum, dass Meg Exhibitionistin war (denn das war sie offenbar). Genau wie es Danny damals bei seiner ersten Begegnung mit Katie ergangen war, musste man nur einen Blick auf Meg werfen, und schon tat es einem fast körperlich weh, sie nicht weiter anzusehen.
    »Das Mädchen ist eine echte Ablenkung«, sagte Danny zu seinem Dad.
    »Sie bringt Ärger«, erwiderte der Koch.
    Die beiden älteren Männer schlenderten durch den Flur im ersten Stock des Hauses in Winter Park. Der Seitenflügel mit den Gästezimmern war L-förmig und ging von diesem Flur ab - architektonisch so merkwürdig gestaltet, dass man beim Vorbeigehen unwillkürlich einen kurzen Blick hineinwarf, weshalb Danny und Dominic sofort die leichte Unruhe bemerkten. Vielleicht hätten sich ihre Köpfe wegen des schrillen Gekreisches fröhlicher junger Frauen auch automatisch in diese Richtung gedreht - schließlich hörten der Koch und sein Sohn dieses Geräusch nicht jeden Tag.
    Meg und ein anderes Mädchen tauchten gerade aus einem der Gästezimmer auf, beide in Badetücher gehüllt. Sie hatten nasse Haare - offenbar kamen beide direkt aus der Dusche - und liefen ungelenk zur Tür

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