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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Fleck«, erklärte der Schneepflugfahrer bei seiner polizeilichen Aussage. Auf die Frage, was für ein Blau es gewesen sei, gab der Mann zu: »Bei dem vielen Schnee bin ich mir da ziemlich unsicher«, doch Danny stellte sich immer einen ungewöhnlichen Blauton vor - eine
Speziallackierung,
wie Max das genannt hatte.
    Jedenfalls verschwand das geheimnisvolle Auto einfach. Den Fahrer hatte der Mann im Schneepflug nicht gesehen.
    Anschließend fuhr der Pflugfahrer weiter bergab in Richtung der I-70, und dort stieß er auf das Wrack neben dem u.s. Highway 40, Joes auf dem Dach liegenden Wagen. Es hatte kein anderes Fahrzeug die Strecke passiert, sonst hätte der Schneepflugfahrer es gesehen, weshalb seine Deutung der Schleuderspuren im Schnee wahrscheinlich zutraf. Der andere Wagen war - mit durchdrehenden Reifen und seitlich wegdriftendem Heck - von der bergauf führenden auf die bergab führende Fahrbahn gerutscht, auf der ihm Joe entgegenkam. An den Spuren im Schnee sah der Fahrer des Pfluges, dass Joe gezwungen gewesen war, die Fahrbahn zu wechseln, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden. Doch es hatte keinen Kontakt der beiden Fahrzeuge gegeben; sie hatten die Fahrbahn gewechselt, ohne einander zu touchieren.
    Der Fahrer des Schneepflugs wusste, auf einer nassen, verschneiten Straße kann sich ein bergauf fahrender Wagen wieder fangen, wenn er ins Rutschen kommt - man nimmt den Fuß vom Gas, schon wird das Auto langsamer und rutscht nicht mehr. Doch Joes Wagen fuhr natürlich einfach weiter; er stieß gegen die weich aussehende Schneewehe, unter der die Leitplanke auf der steil abfallenden Seite der u.s.40 begraben war, an einer Stelle, wo die den Pass hinaufkommenden Fahrer nicht gern nach unten schauen. An der Stelle geht es sehr tief bergab, doch die weich aussehende Schneewehe war festgedrückt und hartgefroren; Joes Auto prallte von der Schneewehe zurück auf die u. s. 40, wo es umkippte. An den Schleuderspuren sah der Fahrer des Pflugs, dass Joes Wagen auf dem Dach den steilsten Abschnitt des Highways hinuntergerutscht war. Fahrertür und Beifahrertür hatten sich geöffnet.
    Wie hatte doch einer von Danny Angels Interviewern die Frage gestellt? »Wenn man bedenkt, wie
langsam
Ihr Sohn fuhr und dass er
nicht
mit dem anderen Wagen zusammenstieß - würden Sie da sagen, Mr. Angel, dass Ihr Sohn und die junge Frau diesen Unfall aller Wahrscheinlichkeit nach überlebt hätten, wenn sie angeschnallt gewesen wären?«
    »Aller Wahrscheinlichkeit nach«, hatte Daniel wiederholt.
    Die Polizei konnte sich nicht vorstellen, dass der Fahrer des anderen Wagens Joes und Megs Notlage nicht bemerkt hatte; obwohl er ins Schleudern geraten war, musste der »Fahrer aus Denver« mitbekommen haben, was mit Joes Auto passiert war. Doch der Fahrer (oder die Fahrerin) hielt nicht an. Wenn überhaupt, hatte das andere Auto, laut dem Schneepflugfahrer, sogar noch beschleunigt - als wollte es den Unfallort möglichst schnell verlassen.
    Über den eigentlichen Unfall sprachen Danny und sein Dad kaum, doch der Koch wusste natürlich, was sein Sohn dachte. Für jeden Phantasiebegabten gesellte sich zum Verlust eines Kindes noch ein besonderer Fluch. Dominic begriff, dass sein geliebter Daniel seinen geliebten Joe immer und immer wieder verlor - vielleicht sogar jedes Mal auf andere Weise. Außerdem würde sich Danny fragen, ob in dem zweiten Wagen überhaupt ein Fahrer saß, denn es war ganz bestimmt der blaue Mustang. All die Jahre hatte dieses Killerauto nach Joe gesucht. (Zur Zeit des Unfalls am Berthoud-Pass waren seit dem
Beinaheunfall
in der Gasse hinter dem Haus an der Court Street in Iowa City fast 14 Jahre vergangen. Max - der den blauen Mustang mehr als einmal gesehen hatte - und der achtjährige Joe hatten damals geschworen, es gebe keinen Fahrer.)
    Es war ein fahrerloser blauer Mustang, und er hatte eine Mission. So wie Danny vor seinem inneren Auge einmal seinen überfahrenen Zweijährigen in Windeln auf der Iowa Avenue gesehen hatte, so hatte der Schneepflugfahrer aus Winter Park Joe vorgefunden - tot auf der Straße.
     

13 - Wolfsküsse
    Um 19 Uhr 30 an einem Samstagabend - es war der 23. Dezember, der letzte Tag, ehe das Restaurant über Weihnachten zumachte - war das Patrice rappelvoll. Arnaud strahlte und begrüßte alle, Tisch für Tisch, als gehörten sie zur Familie. Die Begeisterung des Eigentümers war ansteckend. Alle Gäste wurden über die im Restaurant bevorstehenden Änderungen informiert; im neuen Jahr

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