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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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darunter die zu den Zwergklapperschlangen zählende Massasauga. Diese Klapperschlangen standen
wirklich 
unter Naturschutz, wie Danny Ketchum klarmachen wollte, doch der Waldarbeiter fiel ihm ins Wort.
    »Hero ist schlau genug, um sich nicht von einer verdammten Schlange beißen zu lassen, Danny, ihn muss ich nicht beschützen«, fing Ketchum an. »Aber bei dir und Charlotte bin ich mir nicht so sicher. Ihr latscht über die ganze Insel - ich hab euch gesehen! -, quatscht dabei miteinander und achtet nicht drauf, wo ihr hintretet. Verliebte halten weder nach Klapperschlangen Ausschau, noch horchen sie nach ihnen. Und du und Charlotte, ihr wollt doch ein
Kind,
nicht wahr? Nicht die
Klapperschlangen
müssen geschützt werden, Danny.« Damit schnitt Ketchum mit seinem Jagdmesser der Schlange den Kopf ab. An einem Stein leerte er das Gift aus den Zähnen und schleuderte den Kopf aus der Hintertür in die Bucht. »Fischfutter«, sagte er. »Manchmal bin ich ein echter Umweltschützer.« Die Schlangenhaut schmiss er auf das Dach von Opas Hütte, wo die Sonne sie trocknen würde, »wenn die Möwen und Krähen sie nicht vorher holen«.
    Die Vögel holten sie sich und veranstalteten dabei früh am nächsten Morgen einen solchen Radau, dass Ketchum in Versuchung geriet, erneut seine Flinte abzufeuern, diesmal um die Möwen und Krähen vom Dach der Blockhütte zu verscheuchen. Doch weil er wusste, dass Charlotte den Schuss hören würde, bewarf er die Vögel mit Steinen. Er sah einer Möwe nach, die mit den Resten der Schlangenhaut davonflog. (»So kommt nichts um«, wie Ketchum den Zwischenfall später Danny schilderte.)
    An dem Tag kam die Polizei in ihrem Boot vorbei, um sich nach dem Gewehrschuss vom Vortag zu erkundigen. Ob ihn jemand gehört habe? Auf Barclay Island hatten Leute gesagt, sie glaubten, auf Turner Island einen Schuss gehört zu haben. »Ich hab ihn auch gehört«, erklärte Ketchum, womit er die Aufmerksamkeit der beiden jungen Mounties gewann. Ketchum erinnerte sich sogar an die Uhrzeit, und zwar beeindruckend präzise, behauptete aber, der Schuss sei ganz bestimmt auf dem Festland abgegeben worden. »Klang für mich nach einem Kaliber zwölf«, sagte der erfahrene Waldarbeiter, »aber Schüsse können über Wasser sowohl verstärkt als auch verzerrt werden.« Die beiden Mounties nickten angesichts dieser weisen Beurteilung; die schöne, aber nichtsahnende Charlotte nickte ebenfalls.
    Dann war Joe gestorben, und Danny hatte auch das letzte bisschen Interesse am Töten verloren. Und als Danny und Charlotte sich trennten, stellten Danny und Ketchum ihre winterlichen Fahrten nach Turner Island ein.
    Doch etwas an Pointe au Baril Station ließ Danny keine Ruhe, auch wenn er nicht mehr dorthin fuhr. Und seine Trennung von Charlotte verlief so zivilisiert, dass sie ihm sogar anbot, ihre Sommerinsel mit ihm zu teilen, obwohl sie nicht mehr zusammen waren. Vielleicht könne
er
ja im Juli hinfahren und sie im August, schlug sie vor. Schließlich habe er auch Geld in die Umbauten gesteckt. (Charlottes Angebot kam von Herzen; es ging nicht ums Geld.)
    Doch Danny hatte nicht für den Sommer in der Georgian Bay geschwärmt. Mit
ihr
war er so gern dort gewesen - mit Charlotte wäre er
überall
gern gewesen -, doch dann verschwand sie aus seinem Leben, und wenn er später an den Huron-See dachte, dann vor allem an die windgebeugte Kiefer im Winter. Wie könnte er Charlotte um Erlaubnis bitten, ihn aus seinem ehemaligen Schreibschuppen im Winter einen Blick auf dieses Bäumchen werfen zu lassen - auf die vom Wetter zerzauste Kiefer, die er jetzt nur noch in seiner Phantasie sah?
    Und wie hätte Danny noch einmal Vater werden können, nachdem er Joe verloren hatte? An dem Tag, als Joe starb, wusste er, dass er auch Charlotte verlieren würde, weil er beinahe sofort spürte, dass sein Herz es nicht aushalten würde, noch ein Kind zu verlieren; weder die Angst davor noch dieses furchtbare Ende würde er je wieder ertragen.
    Und Charlotte wusste es auch - sogar noch ehe er den Mut aufbrachte, es ihr zu gestehen. »Du bist nicht mehr an dein Versprechen gebunden«, sagte sie ihm, »auch wenn es bedeutet, dass ich wieder auf die Suche gehen muss.«
    »Du
solltest
auf die Suche gehen, Charlotte«, sagte er. »Ich kann es einfach nicht.«
    Bald darauf hatte sie einen anderen geheiratet. Einen netten Kerl - Danny hatte ihn kennengelernt und mochte ihn gern. Er arbeitete in der Filmbranche, ein in l.a. lebender französischer

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