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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Depression mit
hineingezogen
würde. (Denn die usa würden doch rasch in eine, oder in beide, hineinrutschen, nicht wahr? Darauf wollten kanadische Journalisten in der Regel hinaus.)
    Es war beinahe vier Jahre her, seit Ketchum die usa als »eine Weltmacht im Niedergang« bezeichnet hatte. Als was würde der alte Flößer sie nun bezeichnen? In Kanada kriegte Danny immer politischere Fragen zu hören. Kürzlich hatte ein Journalist des
Toronto Star
ihn förmlich mit politischen Fragen bombardiert.
    Traf es nicht zu, dass die Vereinigten Staaten »militärisch maßlos überfordert« waren? Hatte sich die Bundesregierung nicht eine »gewaltige Schuldenlast aufgebürdet«? Und würde der Schriftsteller gern etwas zu Amerikas »aggressiver kriegstreiberischer Natur« sagen? War die »ehemalige Heimat« des Bestsellerautors, wie der kanadische Journalist die Vereinigten Staaten nannte, nicht ein Land »auf dem absteigenden Ast« ?
    Wie lange noch, fragte sich Danny, würden die Antworten auf diese und andere Unterstellungen in die Kategorie »Das lässt sich noch nicht sagen« fallen? Er wusste, dass er mit dieser Antwort nicht ewig durchkommen würde. »Ich brauche Zeit, um etwas zu verarbeiten - als
Schriftsteller,
meine ich«, leitete Danny seine Ausführungen gern ein. »Außerdem schreibe ich
Literatur
- und das heißt, dass ich nie
über
die Anschläge vom n. September schreiben werde, allerdings werde ich diese Ereignisse möglicherweise einmal verwenden, wenn sie schon eine Weile zurückliegen, und dann nur im Kontext einer von mir selbst erdachten Geschichte.« (Auf dieses ebenso ausweichend wie vage formulierte schriftstellerische Manifest hätte Ketchum vielleicht mit einem Kraftausdruck aus der Kategorie »Haufenweise Elchscheiße« reagiert.)
    Schließlich hatte Danny zu Protokoll gegeben, dass es sich bei der US-Präsidentschaftswahl des Jahres 2000 - die Bush von Gore »gestohlen« hatte - tatsächlich um »Diebstahl« handelte. Und wie hätte der Schriftsteller
nicht
zu der Neuauflage 2004 Stellung beziehen können, als Bush John Kerry mit einer fragwürdigen Taktik und aus den schlimmsten denkbaren Gründen geschlagen hatte? Dannys Ansicht nach war John Kerry ein zweifacher Held - zuerst im Vietnamkrieg, später wegen seiner Proteste dagegen. Doch Kerry habe das Missfallen von Amerikas großmäuligen Patrioten erregt, die entweder dumm oder stur genug seien, um diesen schauderhaften Krieg
immer noch
zu verteidigen.
    Den Medien hatte Danny gesagt, er müsse im Zusammenhang mit seinem früheren Heimatland gelegentlich an Samuel Johnsons vielzitierten und von ihm selbst hochgeschätzten Satz »Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken« denken. Bedauerlicherweise hatte er es nicht dabei belassen. Gelegentlich hatte sich der Schriftsteller dazu hinreißen lassen, zu sagen - wobei er wie Ketchum geklungen hatte -, was die Wahl 2004 anginge, sei nicht nur George W. Bush der Schurke, sondern jeder amerikanische Wähler, der »dümmer als Hundescheiße war«, John Kerry sei nicht
Patriot
genug, um Präsident der usa zu werden.
    Diese Bemerkungen wurden gern zitiert - vor allem das mit den »großmäuligen Patrioten« und natürlich »dümmer als Hundescheiße«. Es stimmte, der Schriftsteller Daniel Baciagalupo hatte unter dem Pseudonym Danny Angel acht Romane verfasst und veröffentlicht, und Danny und sein Vater waren aus den Vereinigten Staaten geflohen und nach Kanada ausgewandert - um einem Wahnsinnigen zu entkommen, der sie beide umbringen wollte, einem irren Excop, der am Ende
tatsächlich
Dannys Dad umgebracht hatte. Doch für den größten Teil der Welt sah es so aus, als habe sich Daniel Baciagalupo aus politischen Gründen entschlossen, in Kanada zu bleiben.
    Danny wiederum war die ständigen Dementis allmählich leid; außerdem war es einfacher, sich wie Ketchum aufzuführen. In seiner Rolle als Ketchum hatte Danny eine aktuelle Umfrage kommentiert: Die Zahl der Amerikaner, die ihren hemmungslosen Hass über die mögliche Einführung der Schwulenehe zum Ausdruck gebracht hatten, war doppelt so hoch wie die Zahl derjenigen, die auch nur eine gelinde Besorgnis über den Ausgang des Irakkrieges zu Protokoll gaben. »Wie Bush auf die Schwulen eindrischt, ist reaktionär und verwerflich«, hatte der Schriftsteller erklärt. (So ein Kommentar festigte Dannys politischen Ruf noch; markige Sprüche á la Ketchum ließen sich prima zitieren.)
    An dem Kühlschrank in seiner Küche in Toronto hing eine

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