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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Deshalb konnte Danny, wenn er im November jagte, immer über das graue Wasser hinweg auf sein Winterdomizil blicken. Oberhalb der Shawanaga Bay gab es auf dem Festland Stellen, von wo man den hinteren Bootssteg von Turner Island sah - sogar das Dach von Opas Hütte, auf das Ketchum einmal die Haut der von ihm erschossenen Klapperschlange geworfen hatte.
    Bei diesen Jagdausflügen im November stieg Danny immer in Larry's Tavern ab. Dort in der Bar hatte er auch das Gerücht gehört, dass man Larry's verkaufen werde, sobald der neue Highway in ihre nördlichen Breitengrade vorgedrungen sei. Weshalb sollte Danny, so wie die alten Männer in der Bar, fordern, man solle Larry's verschonen? Weder die Kneipe noch das Motel erschienen dem Schriftsteller erhaltenswert, auch wenn er nicht leugnen konnte, dass beide Teile des Etablissements für diese Gegend lange einen (wenn auch vorwiegend selbstzerstörerischen) Zweck erfüllt hatten.
    Und sobald Danny im Winter auf Charlottes Insel eintraf, lieh Andy Grant ihm immer Ketchums Remington. (»Falls
Viecher
auftauchen«, wie Ketchum gesagt hätte.) Andy ließ Danny auch ein paar volle Ladestreifen da. Hero erkannte den Karabiner unweigerlich wieder. Das war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen der Jagdhund mit dem Schwanz wedelte. Die Remington .30-06 Springfield war Ketchums bevorzugte Waffe bei der Bärenjagd gewesen und erinnerte Hero bestimmt an das Jagdfieber - oder an seinen früheren Herrn.
     
    Zwei Jahre hatte Danny gebraucht, um dem Hund das Bellen beizubringen. Zu knurren, furzen und im Schlaf zu schnarchen waren Hero angeboren - falls er diese unschönen Künste nicht von Ketchum übernommen hatte -, aber gebellt hatte Hero noch nie. Während seiner frühesten Bemühungen, Hero zum Bellen zu ermutigen, fragte sich Danny manchmal, ob der alte Holzfäller etwas gegen Bellen gehabt hatte.
    Ein kleiner Park mit Spielplatz, etwa so groß wie ein Football-Spielfeld, lag in der Nähe von Dannys Haus in Rosedale und grenzte direkt an die zwei neuen Gebäude mit Eigentumswohnungen am Scrivener Square, die - wie es das Glück wollte - Dannys Blick auf den Uhrenturm des Summerhill-Schnaps- und Weinladens
nicht
verdeckten. Der Schriftsteller ging drei- oder viermal am Tag mit Hero in dem Park Gassi - meist war das Tier angeleint, falls zufällig ein Deutscher Schäferhund oder irgendein anderer Hund in dem Park herumlief, der Hero an Sixpacks Schäfer erinnern mochte.
    In dem Park machte Danny Hero vor, wie man bellt; er gab sich Mühe, so echt wie möglich zu klingen, doch Hero blieb unbeeindruckt. Nachdem das ein Jahr lang so gegangen war, fragte sich Danny, ob Hero Bellen bei Hunden vielleicht für eine
Schwäche
hielt.
    Andere Leute, die in dem kleinen Park ihre Hunde ausführten, waren von Heros dürrem räudigem Aussehen irritiert und weil er sich anderen Hunden gegenüber ungewöhnlich reserviert gab. Dann waren da noch die Narben, die steife Hüfte - von dem schräg und bedrohlich dreinblickenden Auge ganz abgesehen. »Das liegt nur daran, dass Hero ein Lid verloren hat - er guckt Ihren Hund nicht böse an oder so was«, versuchte Danny die ängstlichen Hundebesitzer zu beruhigen.
    »Was ist mit seinem Ohr?«, fragte ihn eine junge Frau mit einem hirnlosen Spaniel im Schlepptau.
    »Och, das war ein Bär«, erklärte Danny.
    »Ein
Bär!«
    »Und die Hüfte von dem armen Tier - diese furchtbaren Narben?«, hatte ein schnauzbärtiger Mann verstört gefragt. »Derselbe Bär«, sagte Danny.
    In ihrem zweiten Winter auf Charlottes Insel fing Hero an zu bellen. Danny hatte das Propellerboot auf dem Eis in der Nähe des vorderen Stegs abgestellt; er entlud gerade seine Einkäufe, während Hero auf dem Steg auf ihn wartete. Danny probierte noch einmal, den Hund anzubellen, doch im Grunde hatte er es aufgegeben. Zu beider Überraschung wurde Dannys Bellen erwidert; es war ein Echo aus der Richtung von Barclay Island. Als Hero dieses Echo hörte, bellte er. Natürlich gab es auch zu Heros Bellen ein Echo; der Jagdhund hörte einen Hund zurückbellen, der ihm gespenstisch ähnlich klang.
    Das ging über eine Stunde lang so weiter - Hero stand auf dem Steg und bellte sich selbst an. (Wäre Ketchum da gewesen, dachte Danny, hätte der den Jagdhund wahrscheinlich erschossen.) Was habe ich da nur erschaffen?, fragte er sich, doch nach einer Weile verstummte Hero.
    Von nun an bellte der Hund normal; er bellte Schneemobile an, und er bellte, wenn er in der Ferne gelegentlich das nach

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