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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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tunken. Eine der Küchenhilfen legte die Armen Ritter dann auf das Backblech, während eine andere mit einem Bratenwender das Lammhaschee rührte.
    Ehe Ketchum zu einer offenbar endlosen Pinkelpause ins Freie gegangen war, hatte er den Zwölfjährigen noch ermahnt: »Neun Uhr, Sonntagmorgen. Erinnere deinen Dad daran, Danny.«
    »Wir werden da sein«, hatte der Junge versprochen.
    »Was hast du mit Ketchum vor?«, flüsterte Indianer-Jane dem Zwölfjährigen ins Ohr. So massig sie auch war, der Junge hatte nicht bemerkt, dass sie hinter ihm stand. Zuerst hatte er sie für die Frau gehalten, die ihm auf die Pelle gerückt war, aber Jane kam gerade aus dem Speisesaal zurück.
    »Dad und ich treffen uns Sonntagmorgen mit Ketchum am Dead-Woman-Damm«, verriet ihr Danny.
    Jane schüttelte den Kopf, wobei ihr langer Zopf, der länger war als ein Pferdeschweif, über ihrem gewaltigen Hintern hin und her wedelte. »Ketchum hat ihn also überredet«, stellte sie missbilligend fest. Wegen des tief in die Stirn gezogenen Schirms ihrer Cleveland-Indians-Mütze konnte der Junge ihre Augen nicht sehen. Dafür schenkte ihm Häuptling Wahoo sein irres Grinsen.
    Einem Fremden wäre nicht aufgefallen, wie perfekt die Abläufe in der Küche ineinandergriffen; Danny und die indianische Tellerwäscherin kannten es nicht anders. Alles lief reibungslos wie immer, sogar als der Koch das heiße Blech voll Scones mit den Topfhandschuhen balancierte, sprangen die Frauen wie einstudiert beiseite, wobei eine von ihnen im selben Moment die Maismuffins aus den Muffinförmchen in eine große Porzellanschüssel klopfte. Niemand rempelte den anderen an, so dick alle - außer Dominic und Danny - auch sein mochten.
    In dem engen Durchgang zwischen der Arbeitsplatte und dem Herd, auf dem unter Töpfen oder Pfannen sechs der acht Flammen gleichzeitig brannten, schoben sich der Koch und die Tellerwäscherin Rücken an Rücken aneinander vorbei. Das war an sich nichts Außergewöhnliches, doch Danny bemerkte eine leichte Variante in ihrer Choreographie und bekam unvermutet einen kurzen, aber eindeutigen Dialog zwischen den beiden mit.
    Als sie, Rücken an Rücken, aneinander vorbeigingen, streifte Jane den Koch absichtlich mit ihrem großen Hintern mitten im Kreuz - Dominic reichte ihr nur bis zu den Schultern.
    »Do-si-do deinen Partner«, sagte die Tellerwäscherin leise.
    Obschon er hinkte, hielt der Koch die Balance, und kein einziger Scone rutschte von dem heißen Blech. »Do-si-do«, flüsterte Dominic Baciagalupo. Indianer-Jane war bereits weitergegangen. Keiner außer Danny hatte diesen kurzen Kontakt bemerkt, Ketchum aber - egal, ob betrunken oder nüchtern - wäre er bestimmt nicht entgangen. (Doch der Holzfäller war nach wie vor draußen und pinkelte vermutlich noch immer.)
     

3 - Eine Welt voller Unfälle
    Am Donnerstag war Angel Pope unter die Baumstämme geraten. Nach dem Frühstück am Freitag brachte Indianer-Jane Danny in ihrem Pick-up zur Schule der Paris Manufacturing Company am Phillips Brook und fuhr anschließend allein zum Kochhaus nach Twisted River zurück.
    Der Flößertrupp würde an einer Stelle knapp oberhalb des Dead-Woman-Damms arbeiten. Der Koch und seine Küchenhilfen würden vier Mittagsgerichte zubereiten; zwei davon würden sie per Rucksack zu den Flößern bringen und die zwei anderen mit dem Auto zu den Holzarbeitern, die auf der Abfuhrstraße zwischen dem Ort Twisted River und dem Pontook-Stausee Holzlaster beluden.
    Auch ohne die Trauer um Angel waren Freitage schon schlimm genug. Alle konnten es kaum erwarten, dass das Wochenende begann, obwohl an Wochenenden in Twisted River (fand zumindest der Koch) wenig mehr geschah als Besäufnisse und die üblichen sexuellen Fehltritte - »von der anschließenden Peinlichkeit und der Scham ganz zu schweigen«, wie Danny Baciagalupo seinen Dad (mehr als einmal) hatte sagen hören. Und für Dominic war das freitägliche Abendessen im Kochhaus die Mahlzeit der Woche, die ihm am meisten abverlangte. Für die praktizierenden Katholiken unter den Frankokanadiern machte der Koch seine berühmten fleischlosen Pizzas, doch für die »Nichtmakrelenfresser« - wie Ketchum sich und die meisten anderen Holz- und Sägewerksarbeiter gern nannte - war eine fleischlose Pizza an einem Freitagabend nicht genug.
    Als Indianer-Jane Danny vor der Schule in Paris absetzte, gab sie ihm einen leichten Knuff auf den Oberarm. Dorthin würden ihn die älteren Schüler schlagen, wenn er Glück hatte.

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