Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
auch!< Ketchum schrie einfach nur >Scheiße< und dergleichen, dann rief er: >Arschlöcher!< Nicht lange, und alle drei schrien: >Arschlöcher!< Ich dachte, das Gebrüll würde dich wecken, aber du hast immer wie ein Stein geschlafen - auch schon als Zweijähriger.«
    »Meine Mom ist also als Erste aufs Eis gegangen?«, fragte Danny immer.
    »Do-si-dos auf dem Eis waren schwierig«, antwortete Jane. »Ketchum ging raus aufs Eis, um mit deiner Mom zu tanzen, dabei trug er weiterhin deinen Dad auf dem Rücken. Das Eis war sogenanntes schwarzes Eis. Im Wald lag Schnee, aber nicht auf dem Fluss. Der Wind hatte das Eis dort saubergefegt, und es war seit fast einer Woche kein Neuschnee gefallen.« Gewöhnlich fügte Jane an dieser Stelle hinzu: »In den meisten Wintern war das Eis auf dem Fluss nicht so brüchig.«
    Der betrunkene Koch konnte nicht stehen, wollte aber auch auf dem Eis herumrutschen und ließ sich von Ketchum absetzen. Dann fiel Dominic hin - er setzte sich schlicht auf den Hosenboden, und Ketchum schob ihn umher wie einen menschlichen Schlitten. Dannys Mom tanzte um die beiden herum. Hätten sie nicht so laut »Arschlöcher!« geschrien, hätte vielleicht einer von ihnen die Baumstämme gehört.
    Damals zogen die Holzarbeiter mit ihren Pferden so viele Stämme sie konnten auf den gefrorenen Fluss zwischen Little Dummer Pond und dem Becken in Twisted River und auch in die weiter oben einmündenden Bäche. Manchmal brach das Gewicht der Stämme zuerst durch das Eis auf dem größeren der Dummer-Teiche, dessen Wasser durch eine Schleuse zurückgehalten wurde, die nicht immer hielt. Doch so oder so brach das Eis immer als Erstes flussaufwärts, oberhalb von Twisted River, auf, und im Spätwinter 1944 kamen die Stämme so pfeilschnell die Stromschnellen vom Little Dummer Pond herab, dass das Eis noch vor ihrem Aufprall barst und sich Eisschollen samt Baumstämmen als Sturzflut in das Flussbecken ergossen.
    Das passierte jedes Jahr, im Spätwinter oder bei Frühlingsanfang, nur dass es meist tagsüber geschah, weil es am Tag wärmer war. 1944 kam die Sturzflut aus Baumstämmen nachts ins Becken. Ketchum schob Dominic auf dessen Hosenboden über das Eis; die hübsche, »etwas ältere« Frau des Kochs tanzte um sie herum.
    Gehörte die Formulierung »etwas älter« zu Indianer-Janes Schilderung jener Nacht? (Danny Baciagalupo erinnerte sich später nicht mehr, wusste aber noch genau, dass Jane - sobald in ihrer Geschichte die Stämme in das Becken schössen - unweigerlich jenen »denkwürdigen Zufall« erwähnte, dass Ketchum und »Cousine Rosie« gleichaltrig waren.)
    Indianer-Jane war in die Tür der Kochhausküche getreten und wollte den dreien sagen, sie sollten das »Arschlöcher!«-Rufen sein lassen, sonst würden sie noch Danny aufwecken. Jane stand hoch genug über dem Flussbecken, um das heranrauschende Wasser und die Stämme zu hören. Den ganzen Winter über hatten Eis und Schnee das Rauschen des Flusses gedämpft - doch nicht in jener Samstagnacht. Jane warf die Tür zu und rannte den Hügel hinunter.
    Jetzt schrie niemand mehr »Arschlöcher!«. Der erste Stamm schlidderte über das Eis in das Flussbecken; die Stämme waren nass und darum auf dem glitschigen Eis noch schneller. Einige der Stämme schössen tief ins Becken und unters Eis. Wenn sie dann wieder auftauchten, durchstießen sie das Eis von unten, »wie Torpedos«, sagte Indianer-Jane immer.
    Als Jane beim Flussbecken ankam, begann das Eis gerade unter dem schieren Gewicht der Stämme einzubrechen; einige der Eisschollen waren so groß wie Autos. Dann war Rosie plötzlich verschwunden. Eben noch sah Ketchum sie Do-si-do tanzen, und im nächsten Augenblick war sie hinter einer wie eine Wand aufragenden Eisscholle verschwunden. Sofort schoben sich Baumstämme über die Stelle, wo Rosie eben noch gestanden hatte. Ketchum arbeitete sich vorsichtig über die Eisbrocken und die auf und nieder hüpfenden Stämme bis zu der Stelle zurück, wo der Koch auf einer Eisscholle umgekippt war, die jetzt flussabwärts trieb.
    »Sie ist weg, Cookie -
wegl«,
rief Ketchum. Der Koch setzte sich auf, sah überrascht, wie ein Stamm aus dem Becken auftauchte und neben ihm mit Wucht wieder ins Wasser klatschte.
    »Rosie?«, fragte Dominic. Hätte er jetzt »Ich liebe dich auch!« geschrien, hätte er kein Echo mehr gehört, nicht bei dem Höllenlärm, den die Stämme und Eisschollen inzwischen machten. Ketchum legte sich den Koch über die Schulter und tänzelte

Weitere Kostenlose Bücher