Letzte Nacht in Twisted River
dieses Buch ein Bestseller wird? Wenn du plötzlich ein bekannter Schriftsteller bist, wenn dein Name und dein Foto in Zeitungen und Zeitschriften auftauchen - vielleicht kommst du irgendwann sogar ins Fernsehen!«
»Es ist ein Debütroman«, sagte Danny abfällig, ganz Realist. »Die Erstauflage ist klein, und es wird praktisch keine Werbung geben. Es ist ein
literarischer
Roman, wenigstens hoffe ich das. Äußerst unwahrscheinlich, dass er ein Bestseller wird!«
»Denk drüber nach. Schließlich ist
alles
möglich, oder? Haben Schriftsteller, sogar die jungen, nicht manchmal Glück, wie andere Leute auch - oder Pech, je nachdem?«
Diesmal wusste Danny, was kam - und zwar rascher als in Mr. Learys Klassenzimmer in der Mickey, als der alte Englischlehrer ihm seinen »gewagten Vorschlag« unterbreitet hatte, den Namen Baciagalupo eventuell abzulegen. Der Vorschlag mit dem Künstlernamen - da war er wieder. Ketchum war der Erste gewesen, der sowohl Danny als auch seinem Vater eine Variante davon unterbreitet hatte. Jetzt verlangte Ketchum von Dominic, den Namen Del Popolo abzulegen.
»Danny?«, sagte Ketchum. »Bist du noch da? Wie nennt man das noch mal, wenn ein Schriftsteller sich einen Namen aussucht, der nicht sein Taufname ist? Diese George Eliot hat das doch gemacht, oder?«
»Das nennt man einen Künstlernamen. Wie zum Teufel hast du eigentlich die Lehrerin in der Bibliothek kennengelernt, wenn du nicht mal
lesen
kannst?«
»Na ja, einige Autorennamen und Titel kann ich lesen«, antwortete Ketchum pikiert. »Ich kann Bücher ausleihen und jemanden suchen, der sie mir vorliest!«
»Aha«, sagte Danny. Vermutlich hatte Ketchum das mit seiner Mutter gemacht - anstatt lesen zu lernen. Wie hatte Ketchum das mit dem Vorlesen doch gleich genannt, Dominic gegenüber?
Vorspiel
nicht wahr? (Tatsächlich war das Dominics Formulierung gewesen, der hatte seinem Sohn diese lustige Geschichte nämlich erzählt.)
»Ein Künstlername«, wiederholte Ketchum nachdenklich. »Ich glaube, es gibt dafür noch eine andere Bezeichnung, klingt irgendwie griechisch.«
»Ein Pseudonym«, sagte Danny.
»Genau!«, rief Ketchum. »Ein Pseudonym. Nun, das brauchst du. Nur zur Sicherheit.«
»Du hast nicht zufällig einen Vorschlag?«, fragte Daniel Baciagalupo.
»Du
bist der Autor, das ist deine Aufgabe«, teilte ihm Ketchum mit.
»Ketchum
passt aber irgendwie zu Daniel, stimmt's? Und es ist ein typischer alter Coos-County-Name.«
»Ich denke drüber nach«, versprach Danny.
»Dir fällt bestimmt etwas Besseres ein«, sagte Ketchum.
»Verrat mir eins«, sagte Danny. »Wenn meine Mom damals nicht im Fluss gestorben wäre, in jener Nacht, wen von euch beiden hätte sie verlassen? Dich oder meinen Dad?
Das
kann ich meinen Vater nicht fragen, Ketchum.«
»Scheiße!«, rief Ketchum. »Ich hab dich deine Frau >einen Freigeist< nennen hören. Katie war eine Gesetzlose, eine Politradikale, eine verfluchte Anarchistin und eine kaltherzige Frau - du hättest es besser wissen müssen, Danny. Aber
Rosie
war ein Freigeist! Sie hätte
keinen
von uns verlassen, niemals! Deine
Mom
war ein Freigeist, Danny - eine wie sie habt ihr jungen Leute von heute nie gesehen! Scheiße!«, rief Ketchum wieder. »Manchmal stellst du die dümmsten Fragen - man könnte meinen, du wärst noch ein Student, der nicht mal anständig Auto fahren kann, oder ein Zwölfjähriger, dem dein Dad und Jane und ich noch einen
Bären
aufbinden könnten, wenn wir wollten. Sprich mit deinem
Dad,
Danny - sprich mit ihm.«
Es klickte in der Leitung, dann folgte das Freizeichen. Ketchum hatte die Verbindung unterbrochen und den jungen Schriftsteller mit seinen Gedanken allein gelassen.
6 -
In medias res
Aus unerfindlichen Gründen stand in der Wohnung am Wesley Place das Telefon auf Carmellas Seite des Bettes. Danny war nun schon einige Jahre fort, zuerst im Internat und dann auf dem College, und
wenn
das Telefon klingelte, nahm der Koch nur ab, weil er hoffte, es sei Danny - und nicht jemand mit schlechten Nachrichten über ihn. (Doch meistens war Ketchum dran.)
Carmella hatte Danny gesagt, er solle häufiger zu Hause anrufen. »Nur deinetwegen haben wir ein Telefon, das sagt mir dein Dad immer!« Danach rief der Junge brav häufiger an.
»Müsste das Telefon nicht auf meiner Seite des Bettes stehen?«, hatte Dominic Carmella gefragt. »Schließlich willst du nicht mit Ketchum reden, und falls Daniel dran ist - oder schlimmer noch, falls es schlechte Nachrichten über
Weitere Kostenlose Bücher