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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ich sei zu jung, um allein gelassen zu werden«, hörte Carmella Dominic am Telefon zu Danny sagen. »Rosie hat wohl geglaubt, sie müsse sich um mich kümmern, und natürlich wusste sie, dass ich sie liebte. Bestimmt liebte sie mich auch, aber ich war für sie immer noch nur ein netter Junge, und als sie Ketchum kennenlernte - tja, er war in ihrem Alter. Ketchum war ein Mann. Ob wir wollten oder nicht, Ketchum und ich mussten uns damit abfinden, Daniel - wir liebten sie beide über alles, und auf ihre Art hat sie uns wohl auch beide geliebt.«
    »Was hat Jane davon gehalten?«, fragte Danny, da Ketchum gesagt hatte, die Indianerin habe alles gewusst.
    »Nun, genau das, was man von Jane erwartet hätte«, antwortete sein Dad. »Sie sagte, wir seien alle drei Arschlöcher. Jane fand, wir alle gingen ein enormes Risiko ein - sie sagte, die Chance, dass es funktioniere, sei nicht größer als die, bei einer Lotterie einen Haupttreffer zu landen. Das fand ich auch, doch deine Mutter ließ uns keine Wahl - und Ketchum war schon immer ein größerer Zocker als ich.«
    »Du hättest es mir früher erzählen müssen«, sagte Danny.
    »Das weiß ich, Daniel - es tut mir leid«, hörte Carmella den Koch sagen. Später erfuhr Carmella von Dominic, was Danny daraufhin zu ihm gesagt hatte: »Das mit dem Bären nehme ich dir nicht übel, das war eine gute Geschichte«, sagte Danny zu seinem Dad, »aber da gibt es etwas anderes, wo du falsch liegst. Du hast mir erzählt, du hättest Ketchum im Verdacht, Lucky Pinette getötet zu haben. Du und Jane und die Hälfte der Jungs in West Dummer - das habt ihr mir erzählt.«
    »Ich glaube, Ketchum
könnte
ihn getötet haben, Daniel.«
    »Und ich glaube, da irrst du dich. Lucky Pinette wurde in seinem Bett ermordet, im alten Schleusenhaus am Androscoggin. Als man ihn fand, war sein Kopf mit einem Stempelhammer eingeschlagen worden - so war es doch, oder?«, fragte der Schriftsteller Daniel Baciagalupo seinen Vater.
    »Genauso war's«, antwortete sein Dad. »Auf Lucky Pinettes Stirn fand man eine Delle in Form des Buchstabens H.«
    »Also kaltblütiger Mord, oder, Dad?«
    »Sah ganz danach aus, Daniel.«
    »Dann ist Ketchum nicht der Täter«, sagte Danny bestimmt. »Wenn es Ketchum so leichtgefallen wäre, Lucky Pinette im Bett zu ermorden, warum bringt er dann Carl nicht einfach um? Es gibt diverse Methoden, wie Ketchum den Cowboy töten könnte - f
alls
Ketchum ein Mörder wäre.«
    Dominic wusste, dass Daniel recht hatte. (»Vielleicht ist der Junge ja
wirklich
ein Schriftsteller!«, sagte der Koch, als er Carmella die Geschichte erzählte.) Denn wenn Ketchum ein Mörder wäre, hätte er den Cowboy bereits umgebracht. Ketchum hatte Rosie versprochen, sich um Dominic zu kümmern - beide hatten versprochen, sich umeinander zu kümmern -, und wie könnte er sich unter den gegebenen Umständen besser um Dominic kümmern, als indem er den Cowboy einfach erledigte - im Bett oder wo auch immer er Carl bei einem Nickerchen überraschen konnte.
    »Begreifst du denn nicht, Dad?«, hatte Danny gefragt. »Wenn Pam Carl alles erzählt und der Cowboy weder dich noch mich findet, warum sollte er dann nicht auf Ketchum losgehen? Schließlich wird er wissen, dass Ketchum alles weiß - Sixpack verrät es ihm ja!«
    Doch Vater wie Sohn kannten die Antwort darauf. Falls der Cowboy auf Ketchum losginge,
würde
Ketchum ihn töten - was sowohl Ketchum als auch Carl klar war. Wie die meisten Männer, die Frauen schlagen, war der Cowboy ein Feigling; wahrscheinlich würde es Carl gar nicht wagen, auf Ketchum loszugehen, nicht einmal mit Gewehr und Zielfernrohr. Der Cowboy wusste, dass der Holzfäller, im Gegensatz zum Koch, schwer zu töten wäre.
    »Dad?«, sagte Danny. »Wann verschwindest du endlich aus Boston?« Daran, wie schuldbewusst und ängstlich sich Dominic im Bett umdrehte und sie ansah, musste Carmella gemerkt haben, welche neue Wendung das Gespräch genommen hatte. Sie hatten besprochen, dass Dominic Boston verlassen musste, doch der Koch konnte oder wollte Carmella nicht sagen, wann.
    Als Dominic Carmella zum ersten Mal alles erzählt hatte, stellte er eins von vornherein klar: Falls Carl ihm jemals auf die Spur kam und der Koch wieder fliehen musste, konnte Carmella ihn nicht begleiten. Sie hatte ihren Mann und ihr einziges Kind verloren. Nur eins war ihr erspart geblieben - die beiden sterben sehen zu müssen. Falls Carmella mit Dominic floh, würde der Cowboy sie selbst zwar vielleicht nicht

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