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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Danny anrief, um darüber zu reden, hatte Carmella den Hörer abgenommen. »Secondo!«, sagte sie, als sie seine Stimme hörte. In all den Jahren, die Danny im Vicino di Napoli gearbeitet hatte, war das sein Spitzname gewesen.
    »Secondo Angelo« hatte ihn zuerst der alte Polcari getauft, »zweiter Angel«.
    Sie alle hatten darauf geachtet, ihn Angelo zu nennen, aber nie Angelù, und in Carmellas Gegenwart kürzten sie den Spitznamen zu Secondo ab - auch wenn Carmella Danny so sehr mochte, dass sie ihn oft ihren
secondo figlio,
ihren zweiten Sohn, nannte.
    Im Restaurantjargon heißt
secondo
auch der zweite (oder Haupt-)Gang, und so hatte sich dieser Name gehalten.
    Doch jetzt war Carmellas Secondo Angelo nicht in der Stimmung, mit ihr zu sprechen. »Ich muss mit meinem Dad reden, Carmella«, sagte er.
    (Ketchum hatte den Koch gewarnt, dass Danny anrufen würde. »Tut mir leid, Cookie«, hatte sein Anruf begonnen. »Ich habe Scheiße gebaut.«)
    Als Danny an diesem Aprilmorgen anrief, wusste Carmella, dass er wütend sein würde, weil sein Dad ihm so vieles nicht erzählt hatte. Natürlich hörte sie vor allem Dominics Seite des Gesprächs, dennoch merkte sie, wie das Telefonat verlief - schlecht.
    »Es tut mir leid - ich wollte es dir bald erzählen«, fing der Koch an.
    Carmella hörte Dannys Antwort darauf, denn er brüllte durch den Hörer seinen Vater an. »Worauf hast du denn gewartet?«
    »Vielleicht darauf, dass dir so etwas passiert, damit du verstehst, wie schwierig es mit Frauen manchmal sein kann«, sagte Dominic. Carmella verpasste ihm von der anderen Bettseite her einen Stoß in die Rippen. Das »so etwas« bezog sich natürlich darauf, dass Katie Danny verlassen hatte - als wäre diese von vornherein verkorkste Beziehung auch nur ansatzweise mit dem vergleichbar, was zwischen Rosie, Ketchum und Dominic abgelaufen war. Und warum hatten sie dem Jungen so lange buchstäblich
einen Bären aufgebunden?
Das verstand Carmella nicht, und sie erwartete schon gar nicht, dass Danny es verstand.
    Sie lag da und hörte zu, wie der Koch seinem Sohn von jenem Abend in der Kochhausküche erzählte, als Rosie gebeichtet hatte, dass sie mit Ketchum schlief - und dann, als sie beide betrunken waren, war Ketchum durch die Gittertür marschiert, und Dominic hatte seinem Freund mit der Bratpfanne eins übergebraten. Zum Glück war Ketchum an jeder Menge Schlägereien beteiligt gewesen und ging davon aus, dass es im Prinzip keinen lebenden Menschen gab, der ihm
nicht
einen Schlag verpassen wollte. Ketchums Reaktion lief automatisch ab. Offenbar hatte er mit einem Unterarm die Pfanne abgelenkt, die sich in Dominics Hand leicht verschob, so dass ihn nur der gusseiserne Rand der Bratpfanne traf, und zwar mitten auf die Stirn, nicht an der Schläfe, wo selbst ein teilweise abgeblockter Schlag mit einer so schweren Waffe möglicherweise tödlich gewesen wäre.
    Es gab damals in Twisted River keinen Arzt, ja noch nicht einmal ein Sägewerk und einen sogenannten Sägewerksteich an dem, was später Dead-Woman-Damm genannt wurde, wo es, ebenfalls später, einen absoluten
Volltrottel
von Arzt geben sollte. Rosie hatte Ketchums Stirn auf einem der Esstische im Kochhaus genäht; dazu hatte sie den extradünnen Draht aus rostfreiem Edelstahl benutzt, mit dem der Koch gewöhnlich gefüllte Hähnchen und Puten verschnürte. Der Koch hatte den Draht vorher abgekocht und dadurch sterilisiert, und Ketchum hatte während des ganzen Vorgangs wie ein Elchbulle gebrüllt. Dominic war ständig um den Tisch herumgehumpelt, während Rosie zu den beiden sprach. Sie war so wütend, dass sie beim Nähen richtig grob wurde.
    »Ich wünschte, ich könnte euch
beide
nähen«, sagte sie und sah dabei Dominic an, ehe sie beiden erläuterte, wie es von nun an ablaufen würde. »Wenn ihr beide auch nur ein einziges Mal gewalttätig werdet, verlasse ich euch alle
beide
- ist das klar?«, hatte sie den Männern erklärt. »Nur wenn ihr versprecht, einander nie wieder zu verletzen - nein, euch wie zwei Brüder immer umeinander zu kümmern -, dann werde ich keinen von euch je verlassen, nicht ehe ich sterbe«, teilte sie ihnen mit. »Ihr bekommt also jeder eine Hälfte von mir, oder ihr bekommt beide gar nichts von mir - in diesem Fall nehme ich Danny mit. Habt ihr das alles begriffen?« Die zwei merkten, dass es ihr bitterernst war.
    »Vermutlich war deine Mutter zu stolz, um nach der Fehlgeburt wieder nach Boston zu gehen, und als meine Mutter starb, fand sie,

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