Letzte Rache: Thriller (German Edition)
zahlloser körperlicher Entleerungen zu überdecken. Die letzten zwölf Stunden hatte er nur durch den Mund eingeatmet und keine Minute schlafen können. Genauso wenig hatte er sich in den letzten beiden Tagen waschen oder rasieren können. Am schlimmsten fand er, dass er sich nicht hatte die Zähne putzen können, und sein Mund fühlte sich an, als wäre ein kleines Tier darin gestorben.
Mit winzigen Schritten rückte er langsam vorwärts und versuchte, sich ausschließlich auf das kleine Stück Asphalt zu konzentrieren, das unmittelbar vor seinen Füßen lag.
»Stehen bleiben!« Einer der Wachmänner, ein ausgezehrter Skinhead namens Jeremy, der einen Engel auf den Nacken tätowiert hatte, hielt eine Hand hoch.
Der andere Wachmann kam hinter den Gefangenen zum Vorschein und starrte verdrießlich auf die versammelten Polizeifahrzeuge vor ihnen. »Wo ist der Transporter?« Er wandte sich an einen Mechaniker, der unter der Motorhaube eines Toyota Prius mit Hybridmotor arbeitete. »Kollege«, fragte er mit einer Kopfbewegung zu seinem Gefangenentrio hin, »wo ist der Wagen für unsere Freunde hier?«
Der Mechaniker richtete sich auf und ließ seinen Schraubenschlüssel kreisen. »Hä?«
»Der Transporter für die Knastbrüder.«
»Ach der, der ist draußen.« Der Mechaniker zeigte mit seinem Schlüssel auf das geschlossene Metalltor, das die Einfahrt versperrte. »Sie konnten nicht reinkommen damit. Irgendein Genie hat vor dem Tor geparkt. Wir warten darauf, dass er abgeschleppt wird.«
Die Wachleute sahen sich an.
Mills schaute die Wachleute an. Bei dem Gedanken, wieder hineingeschickt zu werden, wurde ihm ganz anders.
Einer der anderen Gefangenen, der Klebstoffschnüffler, furzte laut und ausgiebig, was den Dieb zu einem heiseren Lachen veranlasste.
»Ich bringe sie einzeln nach draußen«, beschloss Jeremy nach einer Weile. »Du wartest hier mit den anderen.«
»Okay«, stimmte der andere Wachmann zu. »Meine Schicht ist um halb neun zu Ende, also legen wir besser einen Zahn zu.«
Jeremy legte Mills sanft die Hand auf die Schulter. »Komm mit, mein Lieber«, sagte er und deutete auf eine Seitentür direkt neben dem Haupttor. »Wir gehen dort rüber.«
Weniger als eine Minute später stand Henry Mills draußen auf der Straße und für kurze Zeit wieder in der wirklichen Welt, von der er schon angenommen hatte, dass er sie ein für alle Mal hinter sich gelassen hätte. Er spürte die Sonne auf seinem Gesicht und musste blinzeln, während er sich orientierte. Ein paar Leute kamen auf dem Weg zur Arbeit vorbei und gingen um ihn herum, ohne ihn genauer zu mustern. Ein Taxi brauste vorbei. Das Leben draußen nahm seinen normalen Gang.
Der Hochsicherheits-Gefängnistransporter von Dennis, der alle anderen am Chandos Place geparkten Autos überragte, stand knapp zehn Meter weiter auf der Straße. Nachdem Jeremy halbherzig gegen den illegal vor dem Tor geparkten Skoda Yeti getreten hatte, brachte er Millszum Heck des Transporters und nickte im Vorbeigehen dem Fahrer zu. Mills wartete geduldig auf dem Bürgersteig, während der Wachmann auf das Trittbrett stieg und versuchte, die Hecktür zu öffnen.
Die Tür rührte sich nicht.
»Herrgott noch mal!« Jeremy sprang wieder von dem Trittbrett herunter, stürmte an seinem Gefangenen vorbei und machte an der Fahrertür halt. »Die Hecktür ist verriegelt«, schrie er den Fahrer an. »Mach sie gefälligst auf!«
Mit heulendem Motor bog ein blauer Blumenlieferwagen in die Straße ein und kam auf sie zu. Mills sah, dass der Fahrer angeregt in sein Mobiltelefon sprach, während er mit einer Hand den Wagen lenkte. Gibt es nicht ein Gesetz dagegen?, fragte er sich. Jedenfalls fuhr der Mann viel zu schnell. Während er die Straße entlangbretterte, brachte sich eine Fußgängerin rasch in Sicherheit. Henry Mills ignorierte das Quietschen der Bremsen und das Gehupe und lächelte. Er schaute nach oben in den klaren blauen Himmel und fühlte, wie er zu schweben begann. Während er seine Tränen wegblinzelte, hörte er einen zweiten Laster über die Straße auf sich zurasen. Er wusste, dass dies der Moment war, auf den er gewartet hatte. »Ich komme schon, Agatha«, murmelte er vor sich hin, als er auf die Straße trat und die Augen schloss.
Vierzehn
September 1973
Während der ersten paar Tage an Bord der Weißen Dame betrieben die Häscher William Pettigrews ein rigoroses Schlafentzugsprogramm mit ihm. Er wurde regelmäßig mit den Schläuchen abgespritzt und
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