Letzte Rache: Thriller (German Edition)
auszusagen.«
» Okay, die Familie wird endlich ihren Tag vor Gericht haben – warum sollten sie sich also die Mühe machen, Agatha Mills um die Ecke zu bringen? Es ist ja nicht so, als wäre sie eine Augenzeugin gewesen«, er schaute Joe an, »oder doch?«
»Nein, soweit ich weiß, nicht.«
»Also könnte sie nicht wirklich aussagen. Zumindest nichts Wichtiges.«
»Sie ist eine der treibenden Kräfte gewesen, die dafür gesorgt haben, dass dieser Fall vor Gericht gekommen ist.« Joe zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sind die Leute, die es getan haben, immer noch auf freiem Fuß. Vielleicht wollten sie ihr das Maul stopfen; vielleicht wollten sie die anderen Zeugen einschüchtern. Könnten verschiedene Dinge sein.«
Sie. Immer wenn man es mit ihnen zu tun hatte, wusste man, dass man in Schwierigkeiten steckte.
»Vielleicht.« Carlyle lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte die Hände auf den Kopf. »Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Ein faschistisches Komplott von Achtzigjährigen? Es ist alles ziemlich fadenscheinig.«
»Ich weiß.«
»Wohin bringt uns diese kleine Geschichtsstunde also letzten Endes? Mrs Mills, geborene Pettigrew, hat eine interessante Herkunft.«
Joe nickte.
»Und eine oder mehrere unbekannte Personen einer rechts stehenden chilenischen Gruppe haben ein – was? Sagen wir ein mögliches …«
»Ein theoretisches«, warf der Sergeant ein.
»Ein theoretisches Motiv, sie um die Ecke zu bringen. Aber haben wir irgendein Indiz, dass jemand anders als ihr Ehemann in der Nacht, als sie starb, in ihrem Apartment war?«
»Nein«, erwiderte Joe.
»Haben wir irgendjemanden, der berichtet hat, fremdländisch aussehende Herren mit verdächtigem Verhalten gesehen zu haben? Die vielleicht ein paar Worte Spanisch gemurmelt haben? Im Stechschritt marschieren und ein Foto von El General an ihre Brust pressen?«
»Nein.«
»Irgendwas von der Videoüberwachung?«
»Nein. Die Kameras in den Ridgemount Mansions sind reine Attrappen«, informierte Joe ihn. »Sie sind überhaupt nicht mit irgendwelchen Aufzeichnungsgeräten verbunden. Dann hätte sich offensichtlich das Wohngeld zu sehr erhöht.«
»Was ist denn mit Kameras auf der Straße? Tausende von verdammten Touristen gehen jeden Tag über diese Straße. Einige von ihnen müssen überfallen werden. Und jemand muss es filmen.«
Joe zuckte mit den Achseln. »Soweit ich weiß, hat sich niemand so etwas angesehen. Willst du, dass wir uns darum kümmern?«
Carlyle dachte einen Moment darüber nach und sagte dann: »Nee. Das würde zu lange dauern. Hast du sonst noch was?«
»Nein.« Joe steckte die Unterlagen zurück in den Ordner und legte ihn vorsichtig auf Carlyles Schreibtisch.
»Okay dann«, sagte Carlyle, »vergessen wir nicht die Regel Nummer eins in diesem Job. Halte dich in erster Linie an das völlig Offensichtliche.« Er setzte sich aufrecht hin, drehte sich zu seinem Schreibtisch um und machte sich bereit, den Kampf mit dem grauenhaften IT-System der Polizei aufzunehmen.
Es wurde Zeit, dass er seinen Bericht tippte.
»Henry Mills ist unter Anklage gestellt worden. Die Gerechtigkeit wird jetzt ihren Lauf nehmen. In der Zwischenzeit, mein kleiner Sancho Pansa, wenden wir uns dem nächsten Fall zu.«
Eine leichte Verwirrung machte sich auf Joes Gesicht breit. »Äh?«
Tatsächlich schaffte Carlyle nur zwei Absätze des Berichts, bevor ihn die Langeweile packte und er seine Aufmerksamkeit dem neuesten Fußballtratsch auf den Internetseiten der BBC zuwandte. Danach beschloss er, dass der Papierkram noch vierundzwanzig Stunden warten konnte, das Fitnesszentrum aber nicht. Er beabsichtigte, am nächsten Tag früh zu kommen, um den Fall abzuschließen, und nahm sich fest vor, Commander Carole Simpson die notwendigen Unterlagen vor dem Mittagessen auf den Schreibtisch zu legen.
Auf dem Weg aus der Station hinaus erblickte er den Kollegen, der die Ermittlungen im Fall Jake Hagger leitete. Detective Inspector Oliver Cutler war ein Veteran mit zwölf Dienstjahren auf dem Buckel, der seit Anfang des Jahres in Charing Cross stationiert war. Im Jackett und mit entschlossenem Schritt auf dem Weg zu den Aufzügen machte er den Eindruck, als wolle er heute nicht wiederkommen. Carlyle legte einen Zahn zu und holte ihn ein. »Cutler!«
Cutler drehte sich halb zu ihm, blieb aber nicht stehen. »Ja?«
»Carlyle.«
»Ich weiß.«
Inzwischen standen sie beide vor den Aufzügen. Cutler drückte auf den Knopf, sagte aber nichts
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