Letzte Rache: Thriller (German Edition)
weiter.
»Es geht um Jake Hagger.«
»Was haben Sie denn damit zu tun?«, fragte Cutler defensiv, ohne die Augen von den Aufzugtüren zu nehmen.
Carlyle hatte sich Cutler vorher noch nie richtig angesehen. Er war ein kleiner Kerl, der gleichzeitig erschöpft und abgelenkt wirkte: ein Mann, der auf kurze Sicht von seinem Pint London Pride abgehalten wurde, das an der Theke im Sherlock Holmes Pub um die Ecke auf ihn wartete, und sich auf etwas längere Sicht dem frühestmöglichen Ruhestand mit der bestmöglichen Pension näherte. Nicht die Art Typ, die du haben möchtest, wenn du Ergebnisse sehen willst, dachte Carlyle säuerlich.
Cutler drückte wieder auf den Knopf, offenbar in der Hoffnung, der Aufzug könnte ihm dieses Gespräch ersparen.
»Ich kenne die Mutter«, sagte Carlyle.
Cutler musterte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Dann haben Sie schon einen bei ihr weggesteckt?«
»Der Vater hat behauptet, er wollte den Jungen verkaufen«, sagte Carlyle gelassen, wobei er die Stichelei ignorierte.
Cutler zuckte mit den Achseln. »Leere Worte.«
Carlyle bezog eine Position neben der Aufzugtür. »Ich glaube nicht. Hagger würde Jake nicht so lange bei sich behalten haben. Er könnte nicht mal zehn Minuten auf ein Kind aufpassen.«
»Vielleicht haben sie das Land verlassen.«
»Keiner von beiden hatte einen Pass.«
»Das ist kein Hinderungsgrund.«
»Hagger ist nur ein lokaler Drecksack, kein zum internationalen Jetset gehörender Drecksack. Weiter als bis zur Camden High Street reist er normalerweise nicht.«
Cutler kratzte sich geistesabwesend an der Nase. »Nun ja, wenn er ihn tatsächlich verkauft hat, dann ist das Spiel vorbei. Ich bezweifle das allerdings – ich nehme nicht an, dass er viele Paare kennt, die unbedingt ein Kind adoptieren wollen.«
»Ich auch nicht.«
»Dann wird vermutlich irgendein Sittenstrolch schon seinen Spaß mit dem armen kleinen Bastard haben«, sagte Cutler ohne deutliches Mitgefühl. »In dem Fall ist das wahrscheinlichste Szenario, dass seine Leiche am Boden des West Reservoir liegt.«
Carlyle nickte. Öfter als einmal hatte er Opfer stückweise aus dem stillgelegten Stausee gefischt. Inzwischen wurde der in zwei Meilen Entfernung in Stoke Newington gelegene Stausee als Wassersportzentrum genutzt. Carlyle hatte nie verstanden, warum er so beliebt war; abgesehen von allem anderen zog die »beschauliche« Lage Kriminelle und Verrückte verschiedener Glaubensrichtungen an. Es wurde allgemein angenommen, dass viele weitere Leichen und Leichenteile entdeckt würden, falls man das Gewässer je trockenlegen würde.
»Es gibt so viele Fälle dieser Art«, fuhr Cutler fort, »dass sich die Leute gar nicht mehr dafür interessieren. Und selbst wenn sie es täten, ist die Öffentlichkeit – wie Sie nur allzu gut wissen – völlig nutzlos. Niemand achtet noch darauf, was um ihn herum vor sich geht.«
»Dann ist der Fall abgeschlossen?«, fragte Carlyle.
Cutler schaute auf einen Punkt hinter Carlyles linker Schulter. »Nein, aber so gut wie – es sei denn, Sie haben irgendwas für mich.«
»Nein, aber ich habe Sam Laidlaw gesagt, dass ich mich erkundige. Sollte ich irgendwas erfahren, melde ich mich bei Ihnen.«
»Ich wusste es«, sagte Cutler und lächelte anzüglich. Endlich kam der Aufzug, und er trat hinein. »Stecken Sie ihn für mich mit rein.«
Carlyle verlagerte sein Gewicht auf die Fersen und wartete darauf, dass die Tür sich schloss. Dann atmete er tief aus und ging zur Treppe.
Dreizehn
Mit Handschellen, aber immer noch in seinen eigenen Klamotten trat Henry Mills, flankiert von zwei Sicherheitswachleuten, in den Innenhof, der sich in der Mitte der Polizeistation Charing Cross befand. Hinter ihm kamen zwei andere Gefangene, ein neunzehnjähriger Klebstoff schnüffelnder Straßenräuber und ein zweiundfünfzig Jahre alter Gelegenheitsdieb. Das Trio sollte quer durch London nach Wormwood Scrubs transportiert werden, das viktorianische Gefängnis, wo sie darauf warten würden, dass ihre jeweiligen Strafverfahren nach dem Belieben Ihrer Majestät eröffnet würden.
Es war kaum acht Uhr vormittags, und im Schatten des Innenhofs war es empfindlich kühl. Mills zitterte, aber er atmete tief ein. Es war das erste Mal seit fast zwei Tagen, dass er an die frische Luft kam, und das wusste er zu schätzen. Seine Nacht im unterirdischen Zellentrakt war äußerst unangenehm gewesen, weil das großzügig verwendete Desinfektionsmittel es nicht vermocht hatte, den Geruch
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