Letzte Rache: Thriller (German Edition)
während sie einer Antwort zuhörte. »John«, sagte sie wieder ins Telefon, »ich muss jetzt hier weitermachen. Aber keine Sorge. Glauben Sie mir, es besteht kein Risiko. Zweifellos wird es in den nächsten Stunden noch ein ziemliches Chaos geben, aber morgen früh sollte alles wieder beim Alten sein. An Ihrer Stelle würde ich mir den Rest des Nachmittags freinehmen.«
»Gute Idee!« Carlyle war erfreut, dass seine Befürchtungen zerstreut worden waren. »Danke für den Tipp. Hat gutgetan, mit Ihnen zu sprechen, Susan. Bis bald.«
»Ganz meinerseits, John. Machen Sie’s gut.«
Die Leitung war tot, und Carlyle stand einen Moment da und musterte den Schauplatz. Es hatte sich nicht viel geändert: Immer noch stand dieselbe Polizistin auf einer Seite des Absperrbands und eine kleine Gruppe von Schaulustigen auf der anderen. Dann sah er aus der Richtung St. Martin’s Lane ein Kamerateam auf sich zukommen. »Das ist das Zeichen für meinen Abgang«, sagte er zu sich und brach auf in die entgegengesetzte Richtung, auf die Piazza zu, wo Dennis Felix seine letzten Trommelschläge gemacht hatte.
Als er die King Street erreichte, schaute er auf seinem Handy nach der Uhrzeit. Er hatte gerade noch Zeit für eine schnelle Trainingseinheit im Fitnesscenter Jubilee Hall und würde trotzdem rechtzeitig nach Hause kommen, um Alice zu treffen, wenn sie aus der Schule kam. Das war die Art metrosexuelles Multitasking, das Helen mehr beeindrucken würde, als dass er es nach Paddington zum Mittagessen geschafft hatte. Zumindest hoffte er das. Ein Lächeln spielte auf seinen Lippen, als er das Handy ans Ohr nahm, um ihr die gute Nachricht zu überbringen.
Achtundzwanzig
Es war kalt geworden. Der Himmel war grau und die Luft feucht. Vor drei Stunden, als Carlyle die Wohnung verlassen hatte, war der Himmel von einem klaren Blau gewesen, das auf einen angenehmen Sommertag schließen ließ. Mittlerweile schien er eher eine Reproduktion des Februars im Juni zu sein. Er verfluchte sich, weil er die Wettervorhersage ignoriert und seinen Regenmantel zu Hause gelassen hatte, richtete den Blick nach oben und hoffte, dass die Bäume in der Umgebung ihm ein wenig Schutz vor dem drohenden Regen bieten würden.
Seinem Unbehagen zum Trotz – dies war das richtige Wetter für eine Beerdigung. Carlyle war schon vor langer Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass es einfach die ultimative Beleidigung wäre, an einem schönen Sommertag begraben zu werden – als machte das Universum sich über dich lustig. Dunkel, klamm und zur Selbstbeobachtung einladend – so wollte er das Verfahren haben, wenn seine Zeit gekommen war.
Während er auf die Sintflut wartete, zwang er sich zu fröhlicheren Gedanken. Mit etwas Glück würde seine Zeit noch nicht so bald kommen. Für Agatha und Henry Mills war es allerdings schon so weit. In ihren jeweiligen letzten Verfügungen hatte das Paar bestimmt, dass sie zusammen im Familienmausoleum der Familie Pettigrew auf dem Lavender Hill Cemetery in North London bestattet würden. Carlyle hatte sich am Haupttor eine Broschüre eingesteckt. Er zog sie aus seiner Hosentasche und ermittelte seinen derzeitigen Standort auf der kleinen Karte.
Die Familie Pettigrew hatte ein Mausoleum auf einer Parzelle in der Nähe der Friedhofsmitte. Es sah aus wie ein kleines Granithaus – oder ein sehr großes Puppenhaus. Als Carlyle darum herumging, konnte er immer noch die Musik aus der nonkonformistischen Kapelle neben dem Haupttor hören. Ihm kam der Gedanke, dass dies die Art war, wie er auch bestattet werden möchte – über der Erde, mit etwas frischer Luft, ein bisschen Sonnenlicht und einer guten Aussicht.
Als er das Mausoleum zum zweiten Mal umkreiste, erkannte Carlyle nun, dass die Tür zum Mausoleum in Erwartung der beiden Neuankömmlinge aufgeschlossen worden war. Er warf einen Blick in die Runde, um zu überprüfen, ob ihn niemand beobachtete, gab ihr einen kleinen Schubs und trat mit eingezogenem Kopf ein. Vom Tageslicht, das durch ein kleines rundes Fenster an der hinteren Wand hereinfiel, wurde ein schmaler Gang beleuchtet, der so lang war, dass ein Sarg quer in eine der drei Krypten auf jeder Seite geschoben werden konnte. Eine Seite war bereits voll, die andere leer. Jede Krypta war mit einer kleinen Holztafel versehen, auf der ein Name sowie Geburts- und Todesdatum des Verstorbenen standen. Carlyle bückte sich noch ein bisschen tiefer und las die Namen von Tomas und Sylvie Pettigrew, Agathas Eltern, die dort in
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