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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Kinder bestaunten das Porträt von Omai, zeigten mit den Fingern auf die wunderlichen Bilder von der Osterinsel und schüttelten sich beim Anblick des Südpolareises.
    Heute nachmittag werde ich von der Heimreise erzählen, dachte sie. Wie die Matrosen das abgenutzte Schiff nach Hause fahren, zu uns. Wie sie sich auf Gänsebrust und echtes englisches Bier freuen. Was sie in ihren Seekisten als Mitbringsel zusammengetragen haben. Für uns.
    Sie war doch noch eingenickt, denn das Schlagen der Küchentür weckte sie. Einen Augenblick blieb sie noch liegen, schreckte noch vor dem Steilhang des neuen Tages zurück. Ein Schlurfen auf dem Flur, nackte Füße auf den Treppenstufen. Benny schlich sich zu seiner Retterin. Elizabeth erhob sich aus dem Bett. Sie wusch sich, band die Haare hoch, zwang sich, ihren Leib fest einzuschnüren, ein sauberes Kleid auszuwählen und Strümpfe anzuziehen, die dazu paßten. Jetzt nach unten, dachte sie, zu Tisch mit dem Kind.
    Charlotte stellte gerade den Breiteller vor Benny auf den Fisch, als Elizabeth hereinkam. Der Junge wartete auf seinem erhöhten Stuhl, ein Geschirrtuch war sorgfältig um seinen dünnen Hals geknotet; er bewegte sich nicht, folgte mit seinen tiefliegenden kleinen Augen aber jeder Bewegung Charlottes. Die zarte Haut seiner Wangen wies rote Flecken auf.
    »Setz dich«, sagte Charlotte, »der Tee ist gleich fertig.«
    Benny löffelte am Rand des Tellers entlang, systematisch, so daß die kleine Vertiefung in der Mitte, in die Charlotte den süßen Sirup gegossen hatte, bis zuletzt bleiben würde. Als er alles ausgelöffelt hatte, blieb er reglos sitzen und sah Charlotte gespannt an. Er wartet auf etwas, dachte Elizabeth, warten kann er wie kein anderer, wie schlimm, so ein kleiner Junge sollte Wünsche herausschreien und mit dem Fuß aufstampfen, wenn sie nicht schnell genug erfüllt werden. Doch das ergebene Warten ist eingeschliffen, vielleicht vorgemacht worden. Ich sollte eingreifen, jetzt. Wir gehen nach draußen, sollte ich sagen, zu den Schwänen. Wir holen deine Klötze und bauen ein Haus. Ich lese dir vor. Komm.
    Sie sah aus dem Fenster. Alles war grau. Kein Regen, aber dichter Nebel, der die Pflastersteine feucht und speckig glänzen ließ. Sie verschränkte die Arme.
    Eisenbeschlagene Wagenräder rumpelten über das Straßenpflaster, eine Männerstimme brüllte einen Befehl, woraufhin auch das Trommeln der Pferdehufe verstummte. In der darauffolgenden Stille wurde an die Eingangstür geklopft. Wenn man nur lange genug wartet, geschieht etwas, dachte Elizabeth. Na bitte, noch bevor ich mich zu langweilen beginne, hält eine Kutsche vor der Tür. Warum rennt der Junge nicht nach draußen, um sich die Pferde anzuschauen? Das Warten scheint einfach weiterzugehen, für uns beide. Was schreckt ihn wohl mehr als das Warten?
    Charlotte hatte aufgemacht. »Elizabeth«, sagte sie, »da sind zwei Herren, die dich sprechen möchten. Ich habe sie in die Stube geführt.«
    Träge erhob sie sich. Sie blickte auf den blitzsauber ausgelöffelten Teller ihres Sohnes und blieb kurz hinter seinem länglichen Kopfstehen. Dann verließ sie die Küche und zupfte ihr Kleid zurecht.
    Stephens und Sandwich standen Schulter an Schulter vor dem großen Tisch. In vollem Ornat. Mit Perücke.
    »Nehmt doch Platz«, sagte sie. »Kann ich Euch etwas bringen lassen?« Sie dachte an Störung, an Neuigkeiten, die die Ruhe des Wartens durchbrechen würden. Die Rückkehr. Die wer weiß wievielte Heimkehr.
    »Vielleicht solltet Ihr Euch einen Moment setzen, Gnädigste«, sagte Stephens mit seiner hohen Stimme. Er war kleiner als Sandwich, untersetzter auch, die graublaue Jacke spannte in der Schulterpartie. Noch keiner hatte gelächelt.
    Sandwich zog einen Stuhl unter dem Tisch heraus und lud sie mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Sie blieb stehen. Niemand sagte etwas. Aus der Küche war ganz vage tue Stimme Charlottes zu hören, auf Stein prasselndes Wasser, das Quietschen der Pumpe.
    »Es gibt Neuigkeiten?« Sie hörte den ungeduldigen Unterton in ihrer Stimme. Sandwich räusperte sich, schwieg jedoch. Stephens trat einen Schritt vor und rieb sich die Hände vor dem Bauch. »Setzt Euch doch bitte«, sagte er wieder. Nichts geschah.
    »Elizabeth«, sagte Sandwich, »wir müssen dir etwas sagen.« Sie erschrak über die intime Anrede, als gehe mit dem Wegfall der Förmlichkeit auch aller Schutz verloren und könne das, was er sagen würde, sie wirklich berühren. Wie in einem bizarren

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