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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Gesellschaftsspiel standen sie zu dritt um den leeren Stuhl.
    »Es kam ein Brief von Kapitän Gierke. Auf dem Landweg. Wir sind sofort gekommen. James ist nicht mehr. James ist tot.«
    Sie blickte auf die Träne, die Sandwich aus dem Auge und die Nase entlangrann. Sie hörte das Stocken seiner Stimme.
    »Im Namen der Admiralität möchten wir Euch unser Beileid ausdrücken.« Stephens nickte mitleidig und deutete noch immer auf den Stuhl, der zwischen ihnen stand.
    Setz dich doch selbst, du Hofschranze, dachte sie, hör auf, zu befehlen und einzuschüchtern, und laß mich in Ruhe, laß mich – sie schwieg, Sandwich sprach weiter.
    »Ich habe Banks bereits informiert. Und Solander. Wir fahren anschließend zum König. Aber wir wollten zuerst hierher, das versteht sich von selbst. Du wirst uns jetzt gewiß entschuldigen, wir müssen die furchtbare Nachricht im Palast verkünden, und das rasch.«
    Natürlich, dachte sie, die Akademie, die Marine, das komplette königliche Haus, ein jeder muß sofort in Kenntnis gesetzt werden, damit sie fein trauern können, alle zusammen. Mein Mann ist schließlich öffentlicher Besitz und wird vom Königreich bezahlt. Wurde bezahlt. Vergangenheitsform.
    Es erreichte sie nicht, sie empfand nur eine unerklärliche, beschämende Erleichterung. Und das heftige Verlangen, die Herren mit einem Tritt zur Tür hinauszubefördern. Sie mußte denken und Fragen stellen, Fakten zusammentragen.
    »Wann ist es passiert?« fragte sie mit flacher Stimme. »Und wie. Und wo«, fügte sie nach kurzer Stille hinzu. Die Herren sahen einander an. Stephens schlurfte mit seinen Schnallenschuhen über die Dielen, und es klang wie eine davonhuschende Maus; los, dachte sie, sagt was und verschwindet dann, zu eurem König, na wird's bald?
    »Der Brief ist vom Juni vorigen Jahres datiert«, sagte Sandwich. »Gierke hat ihn in Kamtschatka einer Handelsmission mitgegeben. Über Sankt Petersburg gelangte der Brief zu uns. Das beschriebene« – er zögerte kurz, gab sich dann aber einen Ruck, als sei er sich der Aufgabe bewußt geworden, die ihn noch erwartete –, »das beschriebene Geschehen fand im Februar statt. Am vierzehnten Februar, um genau zu sein. Kapitän Cook, ich meine James, ist in einem Gefecht mit Eingeborenen einer Insel gefallen, die er auf seiner Reise über den Stillen Ozean entdeckt hatte. Gierke nennt sie Hawaii.«
    Stephens übernahm. »Wir werden Weiteres erfahren, wenn die Schiffe zurückkehren. Aber Ihr könnt schon jetzt versichert sein, daß Kapitän Cook in Ausübung seiner Pflicht aufs ehrenhafteste umgekommen ist. Wir halten Euch selbstverständlich auf dem laufenden.«
    Ehrenhaft, dachte sie. Wovon reden sie denn da. Als ob mich das interessierte. Sieht James aber gar nicht ähnlich, sich auf ein Gefecht mit Eingeborenen einzulassen. Sie reden irgendwas daher. Ehrenhaft, wieso? Was ist schon ehrenhaft an einer Keilerei? Wie bekomme ich die Kerle aus meinem Haus? Ich muß in die Küche und Charlotte holen, sie kann sie hinauslassen.
    Sie wollte sich umdrehen und zur Tür gehen, doch die Beine versagten ihr den Dienst. Es ging einfach nicht. Da rief sie nach der Amme, mit erhobener Stimme. Sandwich und Stephens erschraken. Charlotte kam eilig in die Stube.
    »Würdest du die Herren hinauslassen?« bat Elizabeth leise. »Der Besuch ist beendet.«
    Sie waren zu verdutzt, um ihr auch nur die Hand zu drücken, und schlichen still hinter Charlotte auf den Flur hinaus. Im Vorübergehen beugte Sandwich seinen länglichen Pferdekopf zu ihr hin. »Kann ich etwas für dich tun? Jemanden benachrichtigen, den Pfarrer vielleicht, einen Arzt?« Es schien ihr das beste, überhaupt nicht zu reagieren. Als die Tür zufiel, sank sie auf den leeren Stuhl nieder.
    Schwarz, dachte sie, ein neues schwarzes Kleid muß ich besorgen. Die Vorhänge müssen zugezogen werden. Ich muß zu den Jungen. Sie müssen erfahren, was passiert ist. Bevor es in den Zeitungen steht. Unmöglich. Selbst wenn ich auf der Stelle in die Postkutsche springen würde, schaffte ich es nicht. Jamie ist irgendwo auf See. Schreiben. Jetzt gleich.
    Sie blickte zum Tisch. In seiner Mitte prunkte die rote Weste, säuberlich zusammengelegt, die Rolle Silbergarn und die Nadel obendrauf. Sie konnte sofort weitermachen. Oder den prächtigen Plunder gleich ganz wegwerfen, das ging auch.
    Charlotte kam mit dem Jungen an der Hand herein. Wie sehr er James ähnelt, dachte sie, diese Augen, dieser lange Leib. Benny blieb betreten an der Tür

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