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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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stehen und lutschte an einem Holzklotz. Charlotte sah Elizabeth an.
    »Ist es das, was ich denke?«
    Elizabeth nickte. »Gefecht. Februar. Vor fast einem Jahr.« Sie merkte, daß das Sprechen sie große Mühe kostete. Charlotte strich mit der Hand über Elizabeths Arm. »Wie schrecklich. Die ganze Zeit umsonst gewartet. Wie furchtbar für dich. Was jetzt?«
    Elizabeth zog die Schultern hoch. Der Junge hatte X-Beine. Unmöglich sah das aus. Charlotte hatte recht, mit einem Mal war das Warten vorüber. Da stellte sich in der Tat die Frage, wie es weitergehen sollte. Sie hoffte nur, Charlotte würde es wissen.
    Gegen Abend kam Mary mit der Kutsche aus Barking. »Ich habe deine Mutter rufen lassen«, hatte Charlotte gesagt. »Dann seid ihr nicht allein heute nacht.«
    Mary hatte sich alle Zähne ziehen lassen und sah sonderbar aus mit ihrem eingefallenen Mund. Ist sie es auch, dachte Elizabeth kurz, oder kommt eine unbekannte Frau herein, die sich als meine Mutter ausgibt? Sie kennt sich freilich in meiner Küche aus, wuchtet Töpfe auf den Herd und weiß, wo die Butter steht.
    »Du mußt das Kind zu dir ins Bett nehmen«, sagte Mary, »das hilft.«
    »Nein«, sagte Elizabeth. »Benny schläft heute nacht bei Charlotte.«
    Sie gingen zu Fisch, genau wie gestern, vorige Woche, voriges Jahr. Keiner sagte, daß sie essen müsse. Sie hielt die Arme fest an den Magen gedrückt und schaute. Benny saß nah bei Charlotte und beobachtete seine Großmutter heimlich aus dem Augenwinkel. Wenn Mary das Wort an ihn richtete, erschrak er und barg das Gesicht an Charlottes Seite. Als sie fertig waren, ging die Amme mit dem Kind nach oben, um ein paar Kleidungsstücke einzupacken.
    »Du bekommst bestimmt Besuch«, sagte Mary. »Sie werden dir ihre Aufwartung machen, die Herren. Und ihre Damen. Ich bin kurz bei der Schneiderin gewesen, sie kommt morgen früh. Satin, habe ich gesagt. Es ist Winter. Bis dahin ziehst du eben das alte Kleid an, von damals. Ich schaue gleich mal in deinen Schrank. Ist dir kalt? Nein, du empfindest natürlich gar nichts. Keinen Hunger, keine Kälte, keine Müdigkeit. So ist das. Port war es doch, was du magst, nicht?«
    Elizabeth trank und sah sich mit James in dieser nämlichen Küche sitzen, halb beschwipst vom nämlichen Getränk. Nein, sie empfand nichts. Wie sie damals nach oben gepoltert waren, zum erstenmal wieder zusammen im Bett. Nichts.
    »Der mit dem Hinkebein«, sagte Mary, »ob der es schon weiß? Der steht bestimmt gleich bei dir vor der Tür. Oder ist er tot? Ich bekomme das ja alles nicht so mit.«
    »Nein, tot ist er nicht«, antwortete Elizabeth. »Er mußte vor ein paar Jahren bei der Admiralität aufhören. Er hatte seinen Auftrag vernachlässigt. James hatte auch Streit mit ihm. Man hat ihn dann wieder auf See geschickt, in den Kampf gegen die Amerikaner. Aber nach Meinung der Marine hat er nicht hart genug gekämpft. Er kam vor ein Kriegsgericht, erinnerst du dich nicht? Es stand in der Zeitung. Das Kriegsgericht wurde an Bord eines Schiffes gehalten, in einem Hafen. Dort herrschen andere Gesetze als an Land. Absonderlich. Er wurde freigesprochen, aber er arbeitet nicht mehr.«
    Trinken, dachte sie, ganz viel trinken, so daß mir fast schlecht wird und ich betäubt bin und vielleicht, vielleicht nachher schlafen kann. Palliser. Weit fort auf seinem Landsitz. Schlaflos vor Schmerzen in seinem Bein. Woran mochte er wohl jetzt denken? James' Tod würde ihm zusetzen; ein wahrer Freund, ein Freund von früher fällt weg, und das Leben wird geschmälert. Schuldig wird er sich auch fühlen. Zu Recht.
    Hinter der Müdigkeit spürte sie ihre Wut. Sie war jedoch zu erschöpft und merkte, daß sie leise weinte.
    »Früher«, sagte sie zu Mary, die sie fragend ansah, »früher kam er immer, wenn ein Unglück geschehen war. Immer.«
    Mary füllte die Gläser nach. »Das wird er dann wohl jetzt auch tun, Kind, sobald er es erfährt.«
    Elizabeth schüttelte den Kopf. Nichts würde mehr sein wie früher.
    Mitten in der Nacht erwachte sie mit einem heftigen Gefühl der Unruhe. Mary lag neben ihr in dem großen Bett und schnarchte. Vorsichtig stand sie auf. Die Kerze zündete sie erst auf dem Flur an. Es ist Winter, es ist kalt. Sie schlüpfte in Bennys Zimmer, zog die Decke von seinem Bett und schlang sie sich um die Schultern.
    Der Herd strahlte noch etwas Wärme ab. Sie stellte die Kerze auf den Küchentisch. Witwe, ich bin Witwe. Ein albernes Wort. Nach dem Tod kam das Begräbnis. Jetzt nicht. Man

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